Die Blueten der Freiheit
der Plan funktioniert, dann hätten sich Adelige wie der Vicomte, mein Vetter und Lisettes Vater, ihren Einfluss im Königreich erhalten können. Doch das Scheitern des Plans hatte es Richelieu ermöglicht, den Adeligen sämtliche Macht zu nehmen und sie für die Unannehmlichkeiten, die er erlitten hatte, mit Steuern zu bestrafen. Und der Kardinal hatte seine Spione überall. Hätten wir damals so viel über sie gewusst, wie wir heute wussten, dann hätte sich mein Vetter niemals dazu hinreißen lassen, sich an einer solchen Dummheit zu beteiligen.
Er war weder adelig noch mächtig genug, um sich auf die Gnade des Königs stützen zu können. Sowohl der Bruder der Königin als auch der Bruder des Königs waren an Chalais’ Plänen beteiligt gewesen … doch sie hatten es geschafft, sich das Wohlwollen des Königs und des Kardinals wieder zu sichern. Nur jene ohne Macht und Einfluss waren für ihre Mittäterschaft hingerichtet worden. Hätte Richelieu jemals herausgefunden, dass mein Vetter ebenfalls beteiligt gewesen war, dann hätte ihm ohne Zweifel das gleiche Schicksal geblüht wie den anderen unglücklichen Aufständischen: ein unehrenhafter Tod im Gefängnis oder ein furchtbares Ende auf der Henkersbank.
Man war nicht sicher, wenn man ungebührliche Gedanken gegenüber dem Kardinal hegte.
Dennoch war nicht alles Leid, das über uns hereingebrochen war, die Schuld des Grafen. Die schlechte Ernte hatte ihren Teil genauso dazu beigetragen wie die neuen Steuern des Königs und der Unwille meines Vetters, die Bauern darunter leiden zu lassen. Und obwohl der Graf von Montreau jedes Jahr kam, um sich die Entschädigung für seine Spitze bei uns zu holen, und jedes noch so hart verdiente Gold aus uns herauspresste, gab es noch Hoffnung, dass die Ernte eines Jahres so gut sein würde, dass wir unsere Schulden begleichen konnten – solange wir das Land nicht verkaufen mussten.
Als Erbe meines Vetters klammerte ich mich an diese Hoffnung.
Ich war nicht von Geburt an ein Lefort gewesen. Ich war ein Girard gewesen. Ich würde zwar nicht den Titel meines Vetters erben, doch als sein nächster Verwandter würden seine Besitztümer auf mich übergehen. Nachdem ich seinen Namen angenommen hatte und zu Alexandre Lefort geworden war, hatte ich mir die Möglichkeit verwehrt, jemals wieder als der Sohn des meistgefeierten Ritters des Königs in Erscheinung zu treten. Es war jedoch eine Gnade, denn mein Vater war im besten Alter an Aussatz verstorben. An einer Krankheit, die so furchtbar und schändlich war, dass niemand sich durch die Nähe zu einem Erkrankten selbst beschmutzen wollte. Als Erbe des Vicomte von Souboscq standen mir alle Möglichkeiten offen, als Sohn eines leprakranken Ritters hatte ich verloren.
Ich legte eine Hand auf den Dolch, den ich in meinem Gürtel trug. Der Dolch meines Vaters. Nachdem die Felder von Souboscq so verkümmert und verdorrt vor mir lagen, würde er vielleicht mein einziges Erbe bleiben. Ich ließ meine Finger über die Edelsteine gleiten, die in das Verschlussband eingelassen waren. Der Dolch hatte die Form eines Kreuzes und seine kurze, schlanke Klinge war dazu gedacht, tödlich Verwundete zu erlösen, jenen eine Gnade zu gewähren, die keine Hoffnung hatten, zu überleben. Es gab nur noch einen zweiten Dolch dieser Art.
Finde den zweiten Dolch, fiston. Das ist dein Schicksal.
Das waren die Worte, die mein Vater gegen Ende seines Lebens geflüstert hatte. Die Tatsache, dass ich ihn überhaupt verstanden hatte, grenzte an ein Wunder, denn die Krankheit hatte sowohl seine Lippen als auch seine Zunge zerfressen. In letzter Zeit hatte ich oft an diese Worte gedacht, aber sie waren eine kryptische und sinnlose Hinterlassenschaft. Den Dolch als meinen Besitz anzuerkennen würde bedeuten, auch meinen Vater anzuerkennen. Den zweiten Dolch finden? Ich konnte nur hoffen, dass er mich niemals finden würde.
Diese Besitztümer hier waren meine einzige Chance, ein respektables Leben zu führen.
Doch ich hasste den Grafen von Montreau nicht bloß aus persönlichen Gründen. Ich hasste ihn auch für das, was er Lisette angetan hatte. Das sorglose, unschuldige, kindliche siebenjährige Mädchen war in jener Nacht unwiederbringlich ausgelöscht worden. Kummer hatte ihren Platz eingenommen. Sie nahm fügsam jede Schuld auf sich, stellte niemals etwas in Frage, widersprach nicht. Sie tat stets bloß das, was von ihr verlangt wurde, und zog sich anschließend zurück. Sie zog sich immer und überall
Weitere Kostenlose Bücher