Die Blueten der Freiheit
Gräfin.
Der Vicomte erhob sich und ließ eine Hand in die Tasche seines Mantels gleiten. »Es gibt etwas, das ich dir gerne geben möchte.«
Sie wollte sich bereits wieder erheben. »Nein, Papa. Bitte. Keine Geschenke.«
»Aber das Geschenk ist nicht von mir! Ich bewahre es schon seit vielen Jahren auf. Es ist ein Geschenk deiner Mutter.«
Er schob ein kleines Kistchen aus Ebenholz über den Tisch.
Als sie keine Anstalten machte, das Kistchen entgegenzunehmen, nahm ich es stattdessen und stellte es vor ihr auf den Tisch.
» Merci, Alexandre.«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, als sei die Tatsache, dass sie das Kistchen gleich öffnen würde, ein Ereignis, das er nicht versäumen wollte. »Es ist die Perlenkette deiner Mutter. Sie trug sie an unserem Hochzeitstag, und sie sah nie schöner aus. Probier sie an.«
Ihr Blick spiegelte sowohl Kummer als auch Freude wider. Sie legte eine Hand auf das Kistchen und öffnete den Deckel. Ihre Hand glitt hinein. Und als sie sie wieder herauszog, hielt sie eine Kette aus wunderschönen Perlen in den Fingern. Sie sah sie lange an, bevor sie sie auf den Tisch legte. Doch selbst dann ließ sie sie nicht ganz los. Sie strich mit dem Finger über eine der glänzenden Kugeln und dann über die nächste. Dann schloss sie ihre Hände um die Kette und legte sie schließlich in ihren Schoß. Sie schüttelte den Kopf. »Du musst sie dem Grafen geben, Papa. Um deine Schulden zu bezahlen.«
»Nein!« Seine Stimme hallte durch die gewölbte Kammer wie ein Donnerschlag. Wir zuckten beide zusammen. »Ich werde nicht zulassen, dass die Erinnerung an deine Mutter von diesem abscheulichen und widerwärtigen Mann beschmutzt wird.«
Sie schloss ihre Hände um die Kette. »Dann werde ich sie ihm geben.«
»Das wirst du nicht tun!« Seine Wangen zitterten, während sich sein Gesicht rot verfärbte. »Ich würde sie eher eigenhändig in den Brunnen werfen, bevor ich dir dabei zusehe, wie du sie ihm übergibst.« Als er seine Tochter schließlich ansah, wurde sein Blick weicher, und er legte eine Hand auf ihre. »Ich weiß zu schätzen, was du in den letzten Jahren geopfert hast, ma chéri. Ich weiß, wie viel dir unsere Schulden abverlangt haben. Aber diese Kette … Ich habe sie für dich aufbewahrt. Bitte, nimm das Geschenk an.«
»Wie viel sie mir abverlangt haben? Aber ich … ich kann nicht …« Sie sprang vom Tisch auf, und ihr Vater konnte ihr nur noch bestürzt hinterhersehen.
Ich fand sie dort, wo ich sie bisher immer gefunden hatte: auf dem Hügel, von dem aus sich unser Besitz bis zum darunterliegenden Wald erstreckte. Der Nebel, der sich unter uns gesammelt hatte, zog sich wie ein Fluss durch das Tal, so dass nur noch die höheren Hügel wie Inseln daraus hervorragten.
»Es ist nicht sicher hier oben. Die Nacht bricht bald herein.« Eine Fledermaus huschte an uns vorbei, und ein Wolf heulte, als wollte er mir dabei helfen, dass sie meine Warnung auch ernst nahm.
»Jetzt ist die schönste Tageszeit.« Sie klang schwermütig. Dann deutete sie mit dem Kopf in Richtung des Nebels. »Es sieht aus wie eine Straße, die direkt in den Himmel führt.«
Das tat es tatsächlich. Die Nebelschwaden zogen sich bis zum goldenen Rand des Horizonts und schienen von dort bis hinauf in den Himmel zu führen.
»Früher habe ich geglaubt, dass ich nur zum richtigen Zeitpunkt hier sein und weit genug springen müsste, um den Nebel zu erreichen. Und dann könnte ich bis in den Himmel wandern und Maman besuchen.«
Wir sahen schweigend zu, wie sich der Nebel drehte, sich aufbauschte und verdichtete. Er breitete sich bis zum Wald hin aus. Und dann begann er aufzusteigen.
Ich warf einen Blick auf sie. »Hast du es jemals getan? Bist du jemals gesprungen?«
Ihre Lippen verzogen sich zu einem wehmütigen Lächeln, als hätte sie für sich selbst nichts als Spott übrig. »Ich habe es versucht. Aber ich habe es nicht geschafft, weit genug zu springen … und ich war auch nicht schnell genug.« Ihre Stimme klang, als würde sie diese Tatsache zutiefst bedauern.
Wir saßen da und blickten hinunter, bis sich die Sonne in einem letzten Aufbäumen verabschiedete. Sie berührte den Nebel und setzte die Löcher in der Nebeldecke in Flammen. Der weiße Dampf wurde schon bald darauf von einem purpurroten Dunst überlagert. Eine Wolke verdunkelte Lisettes Gesicht, und der Glanz, der scheinbar aus ihrem Inneren gekommen war, verschwand.
Ich drehte meine Hand, so dass die Handfläche nach oben
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