Die Blueten der Freiheit
zeigte, und hielt sie ihr entgegen. Auf meiner Handfläche lag die Perlenkette. »Du hast die hier vorhin vergessen.«
Sie warf nicht einmal einen Blick darauf. »Wenn du weiterhin darauf bestehst, sie mir zu geben, dann werde ich sie verkaufen.«
»Dein Vater hat sie aufbewahrt. Für dich. «
Ihre Augen, die in der Dämmerung dunkel erschienen, suchten meinen Blick. »Ich verdiene sie nicht. Mein Vater hat alles für mich geopfert. Und meine Mutter … Seit sie von uns gegangen ist, habe ich davon geträumt, wieder mit ihr vereint zu sein. Seit ich vier Jahre alt war. Aber ich habe es nie geschafft. Doch selbst wenn ich es jemals schaffen sollte, selbst wenn es mir gelänge, über den Nebel direkt in den Himmel zu wandern, warum sollte sie mich dann empfangen wollen?«
»Sie hätte gewollt, dass du die hier bekommst.«
»Du hörst mir nicht zu! Ich habe alles zerstört, was sie geliebt hat. Es ist besser, sie dem Grafen zu geben, um das zu retten, was noch davon übrig ist.«
»So darfst du nicht denken.«
»Was soll ich denn sonst denken?«
»Es ist nicht deine Schuld. Er ist es, der Schuld an allem hat.«
»Warum erkennst du nicht, was ich wirklich bin? Warum musst du so gütig … und so … gut sein?« Das klang so, als würde sie mir diese Tatsache besonders übelnehmen.
Gott bewahre, dass sie jemals herausfand, wie erbärmlich ich tatsächlich war. Ich griff nach ihrer Hand und versuchte, ihr die Perlen in die Hand zu drücken. »Weil du mir zu viel bedeutest, um zuzulassen, dass du so von dir denkst.« Fürsorge! Fürsorge war so verachtenswert. Fürsorge war so feige. Ich wollte mehr als Zuneigung und Freundschaft. Ich legte meine Hand auf ihre. »Weißt du es denn nicht? Ich liebe dich.« Es mochte vielleicht ein jämmerliches und ungeplantes Geständnis gewesen sein, doch es entsprach der Wahrheit.
Sie entzog mir ihre Hand und trat einen Schritt zurück. »Du liebst mich! Mein Gott, aber warum?« Sie hatte ihre Frage direkt an den Himmel gerichtet. Doch dann schien ihr Gesicht in sich zusammenzufallen, und sie sah mich an. »Ich habe dich geliebt. Ich liebe dich immer noch! Aber meine Liebe ist ein Fluch. Warum verstehst du das denn nicht? Wie kann es dir jemals etwas anderes als Schmerzen bereiten, mich zu lieben?« Eine Spur von Bedauern lag in den Worten, die sie mir zuflüsterte, obwohl es sich hinter ihrer Verzweiflung versteckte.
Ich hatte mir nie etwas erhofft. Ich wollte nie etwas erzwingen. Mein einziger Wunsch war, dass sie den Mantel der Schuld ablegte, den sie sich so fest um die Schultern geschlungen hatte. Doch mein Wunsch war so hoffnungslos wie ihr Wunsch, auf dem Abendnebel dahinwandern zu können. Wir waren bloß zwei Sterbliche, und es schien, als wäre es uns beiden vorherbestimmt, dass wir gerade das nicht bekommen würden, wonach sich unsere Herzen am meisten sehnten.
Mein Geständnis schien ihr nichts zu bedeuten. Sie machte Anstalten, zu gehen.
»Wann hast du den Versuch aufgegeben, zu springen?« Ich sprach laut, damit sie mich auch hörte.
Sie warf mir über die Schulter hinweg einen Blick zu. »Ich habe nicht gesagt, dass ich aufgehört habe, es zu versuchen.«
Ich hoffte verzweifelt, dass sie bleiben würde. Sie an die Dämmerung und den Nebel zu verlieren, wäre ein Verlust gewesen, den ich nicht mehr ertragen hätte. »Aber was würdest du sagen, falls du sie wiedersehen solltest? Und warum solltest du es überhaupt wollen? Warum solltest du dich selbst für ein so sinnloses und hoffnungsloses Unterfangen aufgeben?« Selbst als Kind hatte sie doch wissen müssen, dass es ihr niemals gelingen würde.
»Weil sie mich so gekannt hat, wie ich früher war.« Früher hieß: vor dem Grafen und seiner Spitzenstulpe. »Sie kannte mich, und sie hatte keinen Grund, mich nicht zu lieben. Ich möchte bloß, dass jemand …« Ihre Worte waren kaum noch zu hören, als sie schließlich ihren Rock hochraffte und in der immer schneller eintretenden Dämmerung verschwand.
Ich wusste, was sie dachte. Ich wusste es, weil ich das Gefühl selbst kannte. Ich wollte ebenfalls bloß jemanden, der mich so liebte, wie ich war. Unabhängig davon, was ich getan oder nicht getan hatte. Ich wollte Gewissheit, dass ich eines Tages, irgendwann einmal, die Liebe eines anderen Menschen wert sein würde.
Ich erwachte am nächsten Morgen, als ich hörte, wie das Dienstmädchen im Zimmer rumorte und die Fensterläden für den Tag aufschob. Ich schlüpfte in meine Strümpfe und in meine
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