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Die Blueten der Freiheit

Die Blueten der Freiheit

Titel: Die Blueten der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Anthony
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Kniehose und öffnete die Tür. Ich hatte erwartet, davor einen Bottich mit Wasser vorzufinden.
    Doch ich hatte mich geirrt.
    Ich zog mein Hemd an und stopfte es in die Kniehose. Dann trat ich hinaus, um mit dem Dienstmädchen zu sprechen. Sie schürte gerade die Asche im Kamin.
    »Ich brauche etwas Wasser.«
    Sie drehte sich um, richtete sich auf und stemmte eine Faust in die Hüfte.
    Nun wusste ich, warum sie mir keinen Bottich gebracht hatte: Dieses Dienstmädchen war neu in Souboscq.
    »Weshalb?«
    »Sofort.« Das alte Dienstmädchen hatte stets einen Bottich mit Wasser vor die Tür meiner Kammer gestellt. Ich konnte nicht länger darauf warten. Meine Haut prickelte bereits und juckte mit einer Vehemenz, die mein Herz zum Hämmern brachte und meine Finger dazu zwang, sie kratzen zu wollen. Ich hatte in dem Versuch, bis an meine Haut zu gelangen, schon beinahe ein Loch in mein Hemd gerissen. Ich musste dieses Gefühl loswerden. »Und beeil dich!«
    Sie schimpfte still vor sich hin und stapfte aus dem Raum, doch ein paar Minuten später kam sie mit einem Bottich zurück. Das Wasser schwappte bei jedem Schritt heraus und durchnässte ihren Rock.
    Ich nahm den Bottich mit in meine Kammer und zog mein Hemd, meine Kniehose und meine Strümpfe aus. Dann nahm ich eine Bürste und hockte mich auf den Boden der Wanne. Ich untersuchte meine Arme und Beine. Ich schöpfte eine Handvoll Wasser aus dem Eimer und ließ es über meine Brust laufen. Einmal. Zweimal. Danach bürstete ich mich ab, bis ich beinahe wund war. Ich versuchte, die schrecklichen Erinnerungen auszumerzen.
    »Ihr werdet Euch noch den Tod holen.«
    Ich hob den Blick und sah, dass mich das Dienstmädchen von der Tür aus anstarrte. »Dégage!« Ich hätte die Tür vor ihr zuschlagen und ihr damit die Sicht versperren sollen, doch mein Anliegen war mir zu wichtig. Darüber hinaus war es fast beendet. Ich drehte ihr also bloß den Rücken zu, nahm die Bürste wieder auf und begann erneut zu schrubben. Ich schloss die Augen, während ich meine Wangen und die Stirn reinigte, und dann sah ich ihn in meinen Gedanken.
    Meinen Vater.
    Ich sah ihn wieder einmal, wie er in Lumpen eingewickelt in seiner Höhle in der Nähe des Flusses Salies in Béarn saß. Ich war ebenfalls dort. Ich war noch ein kleiner Junge, und der furchtbare Anblick, wie die Haut meines Vaters von den Knochen faulte, ließ mich zusammenzucken. Ich sah zu, wie der Aussatz seine Finger und Zehen, seine Nase und seine Ohren auffraß. Die Krankheit hatte ihm bereits die Stimme und sein Augenlicht gekostet. Ich war ihm all die Jahre im Laufe meiner Kindheit nicht näher als etwa drei Meter gekommen, obwohl ich jede Nacht vor dem Eingang der Höhle geschlafen hatte. Jeden Morgen, nachdem ich um Brot für unser tägliches Mahl gebettelt hatte, rannte ich zum Bach und schrubbte mich mit einem Stock sauber. Ich musste mich häuten, damit selbst die geringste Möglichkeit, ebenfalls zu erkranken, vom Fluss aufgenommen und vom Wasser davongetragen wurde.
    Beeilung, Beeilung, Beeilung!
    Bevor die Krankheit auch mich befallen konnte. Bevor sie sich einnisten und ihre zerstörerischen Tentakel ausfahren konnte.
    Ich schrubbte mich hinter den Ohren sauber und reinigte meine Fingernägel und die Spalten zwischen meinen Zehen. Das tat ich jeden Morgen, seit vielen Jahren. Ich untersuchte meine Haut nach Wunden und schrubbte sie dann sauber. Manchmal … manchmal war ich zu eifrig. Dann dauerte es oft Tage, bis die Wunden wieder verheilten. Und wenn ich einen besonders reifen Ziegenkäse roch oder an einer Ziegenherde vorbeiging, dann brauchte ich mehrere Tage, um den Geruch wieder loszuwerden. Den Geruch nach verfaulendem Fleisch.
    Meine Erinnerungen hafteten an mir und quälten mich.

    Mein Vater verfiel über die Jahre immer mehr, sowohl was seinen Geist als auch seinen Körper betraf. Und dann, eines Morgens, rührte er sich nicht mehr. Es geschah an einem Sommertag, ich war gerade einmal zwölf Jahre alt.
    »Papa?«
    Ich stieß ihn mit einem Ast in die Seite. Und dann noch einmal. Fester und immer fester, bis die von der Krankheit zerfressene Haut nachgab. Ich zog den Ast heraus und warf ihn fort.
    »Papa!«
    Ich suchte nach einem weiteren Ast und zog damit die Kapuze von seinem Gesicht. Ich hatte ihn seit mehr als einem Jahr nicht mehr richtig zu Gesicht bekommen. Er hatte sich angewöhnt, sein Gesicht unter der schwarzen Kapuze zu verstecken. Hätte ich ihn einmal tatsächlich vor jenem Morgen gesehen,

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