Die Blueten der Freiheit
hätte ich mich dafür geschämt, dass er ein so großes Loch in seiner Hose hatte. Ich fragte mich, wie lange er bereits damit in der Stadt herumgelaufen war. Man konnte ein Mädchen dafür bezahlen, das Bett mit einem zu teilen, aber sie würde deshalb nicht gleich die Hose für einen flicken. Ich zog das Laken zurecht, so dass es seine Füße bedeckte.
»Du willst es gar nicht wissen, Herry. Aber der Pater hat ihnen allen die Sterbesakramente gespendet. Nicht dass er etwas damit zu tun gehabt hätte. Das hat er nicht. Er weiß nichts davon. Das kann er gar nicht. Es lastet schwer auf meiner Seele. Mehr als ich gedacht hätte. Es ist einfach … nicht richtig.«
Ich seufzte. Dann schob ich meine Bundhaube mit der Hand weiter nach hinten. »Manche Dinge sollte man einfach nicht tun. Und ich hätte es auch nicht getan, Herry. Wirklich nicht. Ich habe es bloß für Katharina getan. Und ich muss es bloß noch dieses eine Mal tun. Das ist alles. Dann ist Schluss damit. Das habe ich mir selbst versprochen.« Obwohl ich mir dieses Versprechen bereits das letzte Mal gegeben hatte.
Versprechen. Sie waren doch bloß dazu da, um gebrochen zu werden.
»Ich hoffe … Glaubst du, Gott wird mir vergeben, dass ich … dass ich das getan habe, was ich getan habe?« Ich wäre zur Beichte gegangen, doch es wäre Pater Jacqmotte gewesen, der mir die Beichte abgenommen hätte. Und ich war mir nicht sicher, ob er mir all die Dinge vergeben hätte, die Gott mir vielleicht vergab. Vielleicht würde ich dieses Mal eine der anderen Kirchen besuchen. Eine der Kirchen am anderen Ende der Stadt, wo kaum jemand wusste, wer ich war, und niemand meine Stimme kannte. Aber ehrlich, wem hatte ich denn wirklich Leid zugefügt? Und wenn alles so lief, wie ich es mir erhoffte, dann konnte ich Katharina retten.
Es würde niemandem Leid angetan.
Dafür würde einem Menschen geholfen werden.
Vielleicht hatte ich doch keine so große Sünde begangen, wie es mir mein Gewissen weismachen wollte.
In dieser Nacht brachte Annen ihr Kind zur Welt. Sie schickte einen Jungen los, um mich zu holen, also war ich bei der Geburt dabei. Sie bekam einen großen, rundlichen Jungen. Einen gesunden Jungen. Sobald er seinen ersten Schrei getan und zu atmen begonnen hatte, war meine Arbeit getan.
Diese Familie würde keinen Sarg benötigen. Zumindest nicht in dieser Nacht.
Später in derselben Nacht, noch vor Sonnenaufgang, wurde der Pater in das Haus eines Steinmetzes gerufen. Er bat mich, ihn zu begleiten. Ich wusste nicht, was geschehen war, aber ich wusste, dass es etwas Schreckliches sein musste, denn der Pater bat mich nur, ihn zu begleiten, wenn er glaubte, dass jemand aufgebahrt werden musste.
Als wir bei dem Steinmetz angekommen waren, erzählte man uns, dass er gerade einen Stein hatte schneiden wollen, als er mit seinem Werkzeug abgerutscht war und sich stattdessen das Bein bis auf den Knochen aufgeschlitzt hatte. Der Pater spendete ihm die Sterbesakramente. Es schien das Einzige zu sein, was noch für ihn getan werden konnte. Dann verschwand der Pater wieder.
Ich blieb. Ich musste bleiben. Und eigentlich wollte ich es auch. Ich hoffte, dass das Pech des Steinmetzes sich als mein großes Glück erweisen würde. Ich hätte sogar dafür gebetet, doch das schien mir ein zu großer Frevel zu sein. Stattdessen hoffte ich es von ganzem Herzen. Ich brauchte einen Leichnam, und der Steinmetz schien der einzige zu sein, den ich bekommen würde. Er schwebte bereits zwischen Leben und Tod. Auf seinem Gesicht stand der Schweiß, und wenn er überhaupt noch etwas von sich gab, dann klang seine Stimme schwach und wie von weit her, als hätte er bereits die Flammen des Fegefeuers gesehen. Doch als es schließlich Mittag wurde, bat er mit ziemlich klarer Stimme um einen Schluck Bier.
In unserer Pfarrgemeinde in Kortrijk geschahen immer mehr Wunder, doch keines davon kam mir zugute.
Ist es eine Sünde, dafür zu beten, dass jemand stirbt?
Es war ja nicht so, dass ich dafür betete, dass eine bestimmte Person starb. Und ich wollte auch nicht, dass jemand starb. Doch niemand lebt ewig, und der Tod war häufig in den Straßen und Gassen der Pfarrgemeinde der Sint-Maartens-Kerk zu Gast. Wenn der schwarze Engel uns ohnehin besuchte, warum konnte ich ihn dann nicht bitten, sich ein wenig zu beeilen? Was war falsch daran?
Aber es fühlte sich falsch an. Es fühlte sich äußerst falsch an. Ich hatte De Grote versichert, dass ich einen Leichnam haben würde. Ich
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