Die Blueten der Freiheit
nicht die Mühe, mich zu ihm umzudrehen, als ich ihm diese Frage stellte. Er konnte mir ja doch keine Antwort geben, nicht wahr? Das war ein Vorteil. Er würde nicht zu schreien beginnen, wenn ich es schließlich tat. Er konnte es einfach nicht.
Ich stand da und wusste nicht, was ich denken sollte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Es sollte einem nicht so schwerfallen, jemanden zu töten.
Ich hörte ein leises Geräusch. Flüssigkeit tropfte auf das Stroh. Ich wusste, was es war, bevor ich es riechen konnte. »Schäm dich, Herry. Jetzt hast du dir schon wieder in die Hose gemacht.«
Ich rollte ihn zur Seite und erneuerte sein Lager. Dann legte ich ihn wieder hin.
»Ich möchte das hier wirklich nicht tun. Das weißt du doch, nicht wahr?«
Ich tätschelte seine Hand und stemmte mich vom Lager hoch. Es war eine Sache, den Beschluss zu fassen, jemanden zu töten, aber es war eine ganz andere Sache, es dann auch tatsächlich zu tun. Wie sollte ich es bloß anstellen? Ich konnte ein Seil über einen Dachbalken werfen und ihn daran aufhängen, aber er war furchtbar schwer, und außerdem würde dann niemand sagen können, dass er einfach im Schlaf hinübergeglitten war. Nicht, wenn man die roten Striemen des Seils auf seinem Hals sehen würde. Es musste einen anderen Weg geben.
Ich brauchte eine Idee, aber ich hatte nicht das Gefühl, für eine beten zu dürfen.
Vielleicht … vielleicht konnte ich ihm etwas zu essen geben. Ich konnte etwas in seine Suppe geben. Aber … nee. Wer wusste schon, wie lange es dauern würde, bis das Gift wirkte? Und wie viel ich ihm geben musste? Ich musste bloß … ich musste es bloß tun. Aber bei Gott, wie sollte ich es tun?
Seine langen, keuchenden Atemzüge begannen mir auf die Nerven zu gehen. Warum atmete er so vehement, wenn er doch sterben sollte? Und warum musste ich ihm dabei zuhören? Ich nahm meine Schürze ab und legte sie auf sein Gesicht.
So.
Nun musste ich nicht mehr zusehen, wie er mich anstarrte. Und vielleicht würde ich ihn auch nicht mehr so gut hören können.
Er keuchte noch einmal.
Und dann begann er wieder zu atmen, und es klang fürchterlich. Wenn er doch bloß seinen Mund gehalten hätte!
Ich zog die Schürze fort und presste seinen Kiefer zusammen.
Doch sein Mund blieb nicht geschlossen.
Er atmete keuchend ein, als er ihn wieder öffnete.
Ich musste einfach dafür sorgen, dass er den Mund hielt. Ich nahm meine Schürze und band sie um Herrys Kopf. »Siehst du. So ist es viel besser. Wenn du mir erlaubst, das zu sagen.«
Nachdem Herry ruhig war, konnte ich weiter nachdenken. Und das tat ich auch. Doch bald schon hörte ich ein lautes Prusten. Wie sollte ich mich darauf konzentrieren, eine Möglichkeit zu finden, ihn zu töten, wenn er mich immer wieder störte?
Ich drehte mich um, kniete mich neben ihm nieder und sah, dass er weinte. Ich tupfte die Tränen mit dem Saum meines Rockes ab. »Ist nicht so schlimm, Herry. Du weißt doch, dass du bereits mit einem Fuß im Grab stehst. Was ist so schlimm daran, einen Tag früher zu gehen? Oder auch zwei Tage? Ich glaube nicht, dass du noch mehr als drei Tage hast, wenn du meine Offenheit entschuldigst.«
Das Geräusch erklang ein weiteres Mal. Er versuchte zu atmen … doch es bereitete ihm Schwierigkeiten.
»Könntest du bitte … Würde es dir etwas ausmachen? Ich muss nachdenken, Herry. Ich muss wirklich nachdenken.« Ich zog ihn in eine aufrechte Position und schob einen Topf hinter seinen Kopf, damit er nicht gegen die Wand fiel. »Besser?«
Es klang besser. Er atmete wieder leichter. Und das gab mir zu denken. Auch ich wollte wieder leichter atmen.
Ich brauchte das Geld, doch ich brauchte es nicht so dringend, nicht wahr? Nicht so dringend, um deshalb den alten Herry Stuer zu ermorden.
Ich griff nach seiner Hand. Ich hätte schwören können, dass er zurückzuckte. »Nun gut. Ich war wohl nicht ganz bei Trost, Herry. Das ist die Wahrheit. Wie könnte ich dir weh tun? Du hast einen natürlichen Tod verdient. Und das ist das mindeste, was ich für dich tun kann. Ich werde De Grote einfach sagen, dass ich es nicht tun kann.«
Die Worte hallten durch meinen Kopf.
»Hast du schon einmal erlebt, dass jemand ihm etwas abgeschlagen hat?«
Herry schloss die Augen.
»Ich glaube nicht. Ich nämlich auch nicht. Zumindest gibt es niemanden, der lange genug gelebt hat, um jemandem davon zu erzählen. Aber warum sollte ich seiner Bitte noch einmal nachkommen? Ich habe zu viele schlimme Dinge
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