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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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reagiert, hätte sich vielleicht auch Sorgen gemacht und eine Meldung an die Streife losgeschickt. Aberseit bekannt geworden war, dass der vor Jahren im Weserbergland gefasste Kinderschänder Gernot Huckler wieder auf freiem Fuß war und sich ausgerechnet im malerischen Küstenstädtchen Norden niedergelassen hatte, war die Hysterie groß, wenn einer der Sprösslinge nicht pünktlich am Abendbrottisch saß. Eine Initiative aufgebrachter Eltern hatte versucht, diesen «Unmenschen» zu vertreiben. Vergeblich. Gernot Huckler hatte seine Strafe abgesessen und war von einem Gutachter für gesellschaftstauglich erklärt worden. Es gab keinen Grund, ihm seinen neuen Wohnsitz zu verbieten, zumal er inzwischen verheiratet war und sogar einem geregelten Job nachging. Als Pizzakurier, aber warum nicht. Dennoch kursierte hier in Ostfriesland seit geraumer Zeit das «Gernot-Huckler-Phänomen», GHP abgekürzt – irgendwie hatten sie es in der Abteilung momentan mit diesen Abkürzungen. Die Polizeidienststellen in Norden, Emden und Aurich, sogar in Leer und Esens hatten vermehrt Anrufe von überbesorgten Eltern erhalten, die immer wieder Sätze beinhalteten wie «Normalerweise bin ich ja nicht so ängstlich, aber seitdem dieser Huckler   …»
    Wencke versuchte, sich an den Wortlaut des gestrigen Telefonats zu erinnern. «Allegra war der Name, nicht wahr?», fragte sie Pal. «Allegra – die Muntere, die Lebendige. Und? Ist sie wieder munter und quietschlebendig bei Papa daheim angekommen?»
    «Nein», antwortete Pal einsilbig.
    «Vielleicht bei der Mutter? Die Eltern leben doch getrennt, oder nicht?»
    «Ein Rentnerpaar hat sie gefunden.»
    «Gefunden?»
    «In einem Teich.»
    Wencke sagte nichts. Ihr rauschte so einiges durch den Kopf. In einem Teich? Dann war es doch eine Angelegenheitfür die Kripo   … Der Vater. Der arme Vater. Was hatte er am Telefon gesagt? Seine Tochter käme nie zu spät, sie wisse genau, dass er Probleme damit habe, wenn er nicht wusste, wo sie war. Hätte Wencke etwas ahnen können, ahnen müssen? Das Handy des Mädchens war außer Betrieb gewesen. Wo hatte gestern ihre ach-so-viel-gepriesene Intuition gesteckt? Sie erinnerte sich, der Vater hatte nicht ein Wort über Gernot Huckler verloren, er hatte den Kinderschänder mit keiner Silbe erwähnt, seine Angst war also nicht dem GHP entsprungen. Das hätte ihr auffallen müssen! Hatte sie tatsächlich all ihr Bauchgefühl dafür verschwendet, einen verdammten Schreibtisch aufzuräumen, während zur selben Zeit das Kind vielleicht   …
    «Wencke, soll ich die Truppe zusammentrommeln? Sitzungszimmer?»
    «Ja, Pal. In zehn Minuten. Alle Mann. Wir haben keine Zeit zu verschenken.» In Gedanken fügte sie noch hinzu: Ich glaube nämlich, das habe ich gestern bereits getan.

3.
    Agrimony
(Odermennig)
    Botanischer Name: AGRIMONIA EUPATORIA
    Die Blüte für Menschen, die quälende Gedanken und innere Unruhe hinter vorgespielter Sorglosigkeit zu verstecken versuchen
     
    Die Blutegel waren jetzt groß genug, fand Esther Vanmeer. Voll gesogen wirkten sie wie zwei Stücke Rinderleber am Bein des Patienten. Eines der dicken Tiere löste sich langsam. Doch der Mann kümmerte sich nicht darum, er las ein Nachrichtenmagazin. Auch als Esther mit dem Handtuch kam, blieb er unbeeindruckt. Es war nunmehr seine fünfte Sitzung, und er fühlte sich schon viel besser. Der Hausarzt hatte seine Werte ausdrücklich gelobt, auch wenn sich der Kollege aus der Schulmedizin weiterhin schwer damit tat, den Erfolg auf die Blutegel zurückzuführen. Alles Ignoranten, fand Esther, aber sie hatte es aufgegeben, bei den Studierten noch weiter Überzeugungsarbeit leisten zu wollen.
    «So, kurz stillhalten, Herr Oltmanns.» Esther hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da löste sich der erste Blutsauger schon mit leise schmatzendem Geräusch von der faltigen Haut. Die Wunde blutete stark, im Nu war das Handtuch rot. Auch der zweite Blutegel hinterließ wenige Minuten später deutlich sichtbare Spuren auf dem Frottee. Aber Esther musste ihrem Patienten nicht mehr erklären, dass dies an der gerinnungshemmenden Substanz lag, die die Tiere absonderten.
    «So, das war’s.» Esther ließ die schleimigen Tierchen wieder in ihr kleines Aquarium gleiten, ein ehemaliges Marmeladenglasmit Löchern im Schraubdeckel. Morgen schon kämen die beiden Kerlchen wieder in den Wasserbottich zu den anderen Kollegen, die bereits im Einsatz gewesen waren. Diese beiden prallen Exemplare würden

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