Die Blütenfrau
neugeborene Tochter in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verließ. Nein, mit Axel Sanders würde ihr das nicht passieren. Er war ein Mann wie ein Fels. Sie wusste, er würde ihr so etwas nicht antun. Sicher genoss auch er die gemeinsamen Feierabende. Sie waren Entspannung pur. Und die hatten beide heute bitter nötig.
Ricarda maulte noch in ihrem Kinderbett. «Jetzt nicht!», rief Kerstin streng und richtete sich dann mit ausgewechselter Samtstimme an Axel: «Meinst du, sie bringen es in den Nachrichten?»
«Vorstellen könnte ich es mir. Unser Pressesprecher hat ja eine kurze Mitteilung rausgegeben, als er erfahren musste, dass Frau Sendhorst schon die privaten Sender bei sich auf’s Grundstück gelassen hat. Das war so gegen 18 Uhr. Und die sind ja schnell mit solchen Sachen.»
«Im Teletext stand es auch schon», wusste Kerstin. «Aberes könnte doch sein, dass der Fall nur eine Fußnote bei den weiteren Nachrichten des Tages ist.»
Der 8-Uhr -Gong ertönte, und der etwas aufgeschwemmte Moderator, bei dem Kerstin immer zuerst einfiel, dass er mal eine Affäre mit einer Schlagersängerin gehabt haben soll, wünschte einen guten Abend. Dann folgten die Themen des Tages: «Hannover: Die Schlammschlacht um den Ministerpräsidenten scheint beendet. Für Ulferts geht es in der Beliebtheitsskala wieder bergauf» – «Washington: Der Präsident der Vereinigten Staaten stellt ein neues Einsatzkonzept für die U S-Truppen in Nahost vor» – «Norden/Ostfriesland: Der Tod einer Schülerin wirft Fragen zur Polizeiarbeit und zum Umgang mit Sexualstraftätern auf». Dazu zeigten sie das Konfirmationsfoto von Allegra Sendhorst und eine Aufnahme, die ein Kamerateam heute Mittag aus sicherer Entfernung vom Fundort der Leiche gemacht haben musste, während Axel und sie gerade den seltsamen Fettfilm auf der Mädchenhaut in Augenschein nahmen.
«Immerhin Platz drei», kommentierte Axel bissig die Reihenfolge der Nachrichten und nahm einen Schluck Bier. Die Wut auf die Medien machte ihm scheinbar einen trockenen Hals, er hatte schon seine zweite Flasche geöffnet. Kerstin wusste, er fühlte sich persönlich angegriffen von den haltlosen Vorwürfen. Welche Polizeidienststelle schickte gleich eine Hundertschaft raus, wenn ein Teenager abends nicht pünktlich zum Essen heimkam? Den anderen Kollegen des ersten Fachdezernates ging es wahrscheinlich nicht anders.
«Am meisten leidet doch Wencke unter den Vorwürfen, oder nicht?», hakte Kerstin vorsichtig nach. Irgendwie gelang es ihr immer noch nicht, mit Axel unbefangen über diese Frau zu sprechen.
«Sie hat es sich zumindest nicht anmerken lassen.»
«Vorhin war sie noch bei mir. Hat mir eine tote Katze auf den Tisch gelegt.»
«Manchmal macht sie komische Sachen.»
«Sie hat die ganze Zeit an den Knöpfen ihrer alten Jeansjacke gespielt und ist sich mit den Händen permanent durch die Haare gefahren. Wenn du mich fragst, sie war ganz schön angespannt und …»
«Mein Gott, nimmt dieses Theater denn nie ein Ende?», fragte Axel in ihre Ausführungen hinein.
Er bezog sich jedoch auf den ersten ausführlichen Fernsehbericht. Seit Wochen schon sicherte sich der sogenannte «Webcam-Skandal» in jeder Nachrichtensendung die Pole-Position. Die Landtagswahlen im Herbst warfen ihre hässlichen Schatten voraus. Sozialdemokratisch orientierte Medien versuchten dem amtierenden Ministerpräsidenten schmutzige Geschichten nachzuweisen. Es ging um Sex und Drogen und eine zufällig installierte Kamera im Hotelzimmer. Kerstin hatte dieses Thema schon seit einigen Tagen satt. Es war wie immer bei politischen Skandalen: Erst empfand man Empörung, Ungläubigkeit oder auch ein bisschen Schadenfreude. Aber dann stellte man irgendwann den Ton leiser, wenn der Nachrichtenmoderator nur die betreffenden Schlagworte nannte.
Der Sender blendete jetzt eine Umfragestatistik ein. «Das Gutachten des renommierten Psychologen Dr. Tillmann Erb hat Wolfgang Ulferts zu einem sehr deutlichen Anstieg auf der Beliebtheitsskala verholfen», kommentierte eine Stimme aus dem Off.
Axel schnellte hoch. «Dr. Tillmann Erb? Mit dem habe ich eben noch telefoniert. Er hat auch ein Gutachten über Gernot Huckler erstellt.»
Ricarda begann wieder zu plärren. Kerstin stand seufzend auf und ging Richtung Kinderzimmer. «Dann scheint er jaeine Koryphäe auf dem Gebiet der Sexualpsychologie zu sein», sagte sie im Vorbeigehen. Sie wusste, Wencke hätte wahrscheinlich einen originelleren Spruch auf Lager
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