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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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die Frau, die Mutter und die Freundin sein, die er nie gehabt hatte.
    Bis Gernot eines Tages, und es war trotz der Einwände der Gefängnisleitung dann alles irgendwie schrecklich schnell gegangen, tatsächlich auf freien Fuß kam.
    Sie holte ihn vor dem Gefängnis ab, packte seinen bescheidenen Koffer ins Auto und fuhr mit ihrem Mann – jetzt war diese Bezeichnung auch endlich der Rede wert – nach Hause. Und plötzlich war er tatsächlich da, schlief neben ihr und teilte sich mit ihr das Badezimmer, den Frühstückstisch, das gesamte Leben. Sie verstanden sich gut, lachten zusammen und stritten so gut wie nie. Und wie war es dann weitergegangen? Wie lange hatte es gedauert, bis dieser Zauber, diese romantischen Gefühle verflogen waren? Unglücklich waren sie zwar nicht, im Gegenteil. Aber sie waren kein Paar.
    Esther wollte ihm Zeit lassen und kämpfte trotzdem mit ihrer Ungeduld. Warum nahm er sie abends nie in den Arm? Warum küsste er nur ihre Wangen?
    Nun, sie musste einfach warten, bis er so weit war. Und solange sie daran glauben konnte, dass dies alles nur eine Übergangsphase war und es eine liebevolle Zukunft für Gernot und sie gab, ja gut, so lange würde sie durchhalten. Aber in letzter Zeit erwischte sie sich immer öfter dabei, dass diese Hoffnung sie verließ.
    Sie waren einander vertraut und fremd zugleich. Esther betrachtete das Bild vor ihr und blickte dann auf ihre Tochter. Griet war in ihrem Schoß eingeschlafen wie ein kleines Mädchen.
    «Entschuldigen Sie, wir schließen bald», riss ein Mann sie aus den Gedanken. Er trug die dunkelblaue Uniform desAufsichtspersonals und zeigte auf die Uhr über dem Durchgang, es war kurz vor fünf.
    Griet richtete sich benommen auf. «Ich habe Hunger, Mama. Gehen wir etwas essen?»

11.
    Hornbeam (
Weißbuche oder Hainbuche)
    Botanischer Name: CARPINUS BETULUS
    Die Blüte gegen Schwäche und Erschöpfung
     
    «Moordörper Nüst» stand über der bunt beklebten Tür. Davor hatte Emil es sich bereits auf einer Stufe bequem gemacht. «Mama, ich hab so lang gewartet», war sein einziger Kommentar, als Wencke aus dem Auto stieg. Dann ließ er sich von seiner Mutter auf den Arm nehmen und zum Wagen schleppen. In seinem dunkelblonden Igelhaar klebte Knetgummi, und er roch nach Früchtetee und Fingerfarben.
    «Wie war dein Tag?», fragte Wencke. Doch Emil sagte nichts. Auf diese Frage blieb er ihr stets eine Antwort schuldig. Nicht, weil es ihm nicht gefiel im Kindergarten, im Gegenteil, die Erzieherinnen bescheinigten ihm einen großen Freundeskreis und jede Menge Feuereifer. Doch nach acht Stunden war er einfach k.   o. und wollte nur noch nach Hause. Wencke lud ihn auf den Kindersitz.
    Die Tüte mit dem Tierkadaver hatte sie noch schnell ins Labor gebracht, auch wenn ihre Aufforderung «Untersucht das Tier, ich will wissen, wer es getötet hat» dort auf sehr taube Ohren gestoßen war. Der ungeplante Umweg hatte Wencke wieder einmal eine Viertelstunde zu spät am Kindergarten auftauchen lassen, eine entnervte Erzieherin wünschte knapp «Feierabend» und stieg auf ihr Hollandrad.
    «Gleichfalls», murmelte Wencke. Sie war völlig erledigt. Am liebsten wäre sie jetzt einen Moment einfach nur hier im Auto sitzen geblieben. Doch Emil brauchte sein Abendessen, außerdem spielten sie immer noch eine halbe Stundemit Legosteinen vor dem Schlafengehen, die Gutenachtgeschichte nicht zu vergessen. Also los.
    «Die haben eine tot gemacht», sagte Emil plötzlich, als sie hinter dem Lenkrad Platz genommen und den Zündschlüssel umgedreht hatte.
    «Was? Wer sagt so was?»
    «Melanie. Die Polizei soll den Totmacher schnell kriegen, hat sie gesagt. Ich hab gesagt, meine Mama ist die Polizei.»
    Wencke musste lachen, zum ersten Mal an diesem Tag.
    «Mama, kriegst du ihn denn? Den bösen Mann aus Norden?»
    «Hat die Melanie das auch gesagt? Dass es ein Mann aus Norden war?»
    «Ja.»
    «Wenn die Melanie das schon alles weiß, warum arbeitet sie denn dann im Kindergarten und nicht auch bei der Polizei?»
    Emil zuckte die Achseln. «Die spielt lieber mit uns.»
    «Das würde ich auch viel lieber, mein Schatz.» Wencke fuhr auf die Bundesstraße. Zum Glück herrschte ausnahmsweise mal kein stockender Verkehr. Auch wenn das Plappern ihres Sohnes Wenckes Laune ein wenig verbesserte, von einem beschwingten Feierabendgefühl war sie immer noch Meilen entfernt.
    Wencke musste würgen bei dem Gedanken, dass die Aufklärung dieses Falles sich bereits so glasklar abzuzeichnen

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