Die Blütenfrau
korrekte Fachausdruck. Medizinische Blutegel. Meine Güte, da müssen die Kollegen in Oldenburg aber ganz schön recherchiert haben bei der Obduktion, bis sie alle Informationen zusammenhatten. Kein Wunder, dass das Ergebnis bis heute früh gedauert hat.»
«Sind das diese Viecher, die von den Naturheilern eingesetzt werden?»
«Ja. Hier heißt es, die kann man sich ziemlich problemlos im Internet bestellen.»
Wenckes Mund war trocken. Ihre Zunge haftete am Gaumen wie ein Klettverschluss. «Ich hole mir einen Schluck Wasser. Willst du auch was?»
«Nein danke, nicht nötig.» Kerstins Singsang klang fast fröhlich.
Als Wencke wieder ins Büro kam, fühlte sie sich nicht wirklich erfrischt vom kalten Leitungswasser, welches sie im Waschraum direkt aus dem Hahn getrunken hatte. Kerstin schien ihre unappetitliche Lektüre bereits beendet zu haben und aufbrechen zu wollen.
Doch Wencke waren noch einige Fragen eingefallen, die Kerstin wohl am besten beantworten konnte, schließlich war sie es, die der Leiche am Tatort am nächsten gekommen war.
«Gibt es im Schwanenteich vielleicht auch solche Blutegel? Frei lebend? Kann doch sein, dass es sich in unserem Fall dann doch irgendwie um einen seltsamen Unfall handelt.»
«Das glaube ich nicht. Also weder, dass es dort Blutegel gibt, noch dass diese Tiere sich die Mühe machen, ihren Wirt von innen auszusaugen.»
«Die Tiere waren im Körper?»
«Ja, die haben insgesamt sechs Exemplare gefunden, die oral, vaginal und rektal in den Mädchenkörper gekrochen sein müssen.»
«O Gott!» Mehr Wasser …
«Im Obduktionspapier steht, dass sechs Egel auf der Haut zwar auch eine starke Blutung hätten auslösen können, diese wäre aber wohl kaum tödlich gewesen. An den besser durchbluteten inneren Organen richteten die Viecher jedoch einen so großen Schaden an, dass das Mädchen ziemlich schnell …»
«Ist gut, Kerstin, ich kann’s mir denken.» Wencke ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken. Da dachte sie nun, sie hätte in den Jahren bei der Kripo schon alles gesehen und gehört, und dann kam so etwas. «Aber wieso sind die Tiere denn dann … na ja, da überhaupt rein?»
«Das erklärt sich durch diesen Fettfilm auf der Haut», antwortete Kerstin. Bei ihr schien dieses rechtsmedizinische Gutachten in etwa das Gefühl auszulösen, welches einen überwältigt, wenn man erfolgreich ein 100 0-Teile -Puzzle zusammensetzt. «Ich hatte gestern schon so eine Vermutung. Habe ich auch unserem lieben Axel …» Achtung, dachte Wencke, Kerstin hat soeben einen kleinen, fiesen Giftpfeil verschossen! «… fürs Protokoll mitgeteilt. Der Fettfilm auf der Haut roch nach Zitronenmelisse. Und dieses Aroma benutzt man auch, um Stechmücken und andere Insekten fernzuhalten.»
«Du glaubst, der Täter hat die Haut geschützt, damit die Tiere … den Weg nach innen suchen?»
«Ja, das glaube ich.»
«Wurde das Mädchen denn betäubt? Also, bevor sie eingecremt wurde, meine ich …»
Kerstin blätterte nur kurz in den Unterlagen. «Wie ich schon am Tatort festgestellt habe, gab es keine Spuren,die darauf schließen lassen, dass sie sich gewehrt hat. Die Rechtsmediziner gehen davon aus, dass Allegra nicht bei Bewusstsein gewesen ist. Doch im Blut waren keine Betäubungsmittel zu finden.»
«Aber wie dann …?»
«Eventuell Sauerstoffmangel.»
«Sie könnte also eine Plastiktüte über den Kopf gezogen bekommen haben, bis sie ohnmächtig wurde?»
«Könnte sein.»
«Und dann hat der Typ sie mit Zitronenmelisse … Ich glaub es einfach nicht. Hat der denn gar keine Gefühle gehabt?»
«Der Täter handelte auf jeden Fall ziemlich kaltblütig», bestätigte Kerstin.
«Ein Unmensch. Und dann muss unser Mörder jemand sein, der sich mit diesen Heilmitteln auskennt. Allegras Mutter ist Ärztin, ihr Vater hat die Küche voller Medikamente …»
«Ich will mich ja nicht in deine Ermittlungsarbeit einmischen, liebe Wencke, aber du solltest besser jenseits der Schulmedizin suchen.»
«Sowohl als auch, liebe Kerstin.» Meine Güte, welchen albernen Hexentanz führten sie hier eigentlich gerade auf? «Hucklers Ehefrau hat eine Naturheilpraxis, haben Pal und Greven erzählt. Ich denke, ich werde Esther Vanmeer heute einmal persönlich besuchen und sie bei der Gelegenheit zum Thema Blutegel befragen.»
«Tu, was du nicht lassen kannst», erwiderte Kerstin beinahe schnippisch.
«Ach ja, und unseren lieben Axel …» Was du kannst, kann ich schon
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