Die Blume der Diener
die Gestalt ihm gegenüber war keineswegs ein selbstgerechtes, zänkisches Weib, sondern ein schlanker, junger Mann, der mit ernstem Gesicht gegen einen Stuhlrücken lehnte. Seine Haltung drückte Zuneigung und Vertrautheit aus.
Entwaffnet und besiegt warf Lionel die Hände hoch. »Könige dürfen nicht lieben. Ich werde Lissaude heiraten. Mehr ist dazu nicht zu sagen.«
Nach einer kurzen Pause fragte Elinor: »Haben Eure Majestät sich bereits entschieden, wer der nächste Haushofmeister wird?« Ihre Stimme klang kühl und unbeteiligt; es war die Stimme Williams. »Lord Brackton ist ein verständiger Mann, genau wie sein ältester Sohn Walter. Und da sein jüngerer Sohn Peter Euer Majestät Soßenmeister ist, besitzt er eine gewisse Kenntnis von den Arbeiten im Haushalt Eurer Majestät.«
»Einverstanden«, sagte König Lionel. Er sehnte von Herzen das Ende dieses Gesprächs herbei. »Dann soll Lord Brackton Haushofmeister werden. So hätte es auch mein Vater gewollt.« Doch der Gedanke an Lord Brackton, an seine Rastlosigkeit und seine sorgenvollen braunen Augen verursachten dem König eher Ärger als Erleichterung. Einen Augenblick lang stellte sich Lionel vor, wie es wäre, wenn das Schauspiel in der großen Halle nicht stattgefunden hätte, wenn er die Taube nicht gehört und den Hirsch nicht gejagt hätte. Er sah William an seiner Seite, geliebt und doch fern, als Freund und Ratgeber, mit dem er im Kräutergarten spazieren ging und an Winterabenden Schach spielte; vielleicht würde er sogar Pate von Lionels Erbe werden.
Der Traum verblasste trotz seiner Heimeligkeit so geisterhaft wie der Hirsch. Eine solche auf Abstand bedachte, blutleere Gefährtenschaft war nicht das, was er von William gewollt hatte. Früher oder später hätte sich seine Leidenschaft Bahn gebrochen und Elinor hätte ihre Maske ablegen müssen. Dann wären Schmerz und Scham unvermeidlich gewesen. Lionel nahm beim Kamin Platz und schaute die schrecklich vertraute Gestalt ihm gegenüber an. »Bleibt Ihr bei Hofe, Lady Flower? Oder wollt Ihr zum Haus Eures Gemahls zurückkehren?« Er fühlte sich plötzlich alt und unendlich traurig. »Kommt, setzt Euch und sprecht mit mir, wie Ihr es getan habt, als Ihr noch William wart.«
Elinor ließ den Stuhlrücken los, setzte sich aber nicht. »Ich bin nicht mehr William, mein Gebieter«, erklärte sie knapp. »Ich kann nicht an Eurem Hof bleiben. Und in Hartwick Manor gibt es nichts mehr, zu dem ich zurückkehren kann.«
Ein unangenehmes Schuldgefühl befiel Lionel. Er hatte diese Frau geliebt. Sie war seine Untertanin, war ihm treuer Diener und Freund gewesen, egal ob sie die Beine nun entblößt oder unter langen Röcken verborgen trug. Er musste für sie sorgen. Mit einem Adelstitel? Was gab man einer Frau? Da kam ihm eine Idee. »Ich gewähre Euch eine Mitgift aus dem königlichen Schatz. Ihr mögt Euch unter meinen Lords einen Gatten erwählen«, bot er ihr an. »Jeder Mann wäre froh, Euch sein Weib nennen zu dürfen.«
Elinors Gesicht verhärtete sich. »Ich bin kein Pferd und keine Kuh, die man einem Freund schenkt, wenn sie einem nichts mehr nützen. Überdies ist ein Gatte kein Lohn für gute Dienste wie ein Haus oder Land. Mein Gebieter, erst vor einem Jahr wurde mir meine friedvolle und gewohnte Lebensweise auf höchst blutige Art genommen. In Euren Diensten und in der Ausübung meiner Heilkünste habe ich wieder Frieden gefunden. Nun sind mir auch diese Dinge genommen.«
Lionel wollte ihr widersprechen, doch sie hob die Hand und kam ihm zuvor. »Ich gebe Euch nicht die Schuld, Sire, denn Ihr wart so erschöpft, dass Ihr keine Vorsicht mehr walten lassen konntet. Kein Mann, der so erschöpft und … verliebt ist, hätte sich anders verhalten.«
Ihre Vergebung traf Lionel härter als ihre Wut, denn sie bewies nicht nur Elinors Gleichgültigkeit, sondern auch seine eigene unkönigliche Schwäche. Ein Ritter in einem Minnelied hätte seine Geliebte in den Sattel gehoben, sie davongetragen und auf immer glücklich mit ihr gelebt. Doch König Lionel von Albia war kein einfacher Ritter, der gedankenlos seinen Launen folgen durfte. Auch bestand sein Leben nicht aus einem Minnelied mit glücklichem Ausgang. Lionel erinnerte sich nicht an einen Sang über das glückliche Leben nach dem Abenteuer.
»Was habt Ihr jetzt vor?«, fragte er.
Sie wartete lange, bevor sie eine Antwort gab. »Ich habe mich schon einmal in der Welt bewährt, mein Gebieter. Vielleicht werde ich wieder als Koch oder
Weitere Kostenlose Bücher