Die Blume der Diener
aus eigener Kraft Nahrung und Kleidung verschaffen.
Als kleines Mädchen hasste ich das Nähen und Spinnen; dafür aber war ich außergewöhnlich geschickt in Garten und Küche und meine Mutter ließ meinen Neigungen freien Lauf. Als ich zur Frau herangewachsen war, ertrug mich mein Gemahl gleichermaßen und stellte mir im Haushalt Gehilfinnen zur Seite, damit ich von allen mir verhassten Aufgaben befreit war. Nun bin ich Witwe und kann mich nicht einmal selbst kleiden.« Elinors Stimme schwankte. »Ich habe für meine Halsstarrigkeit bezahlt und will nun meinen Körper in die Trauer kleiden, die ich so lange im Herzen getragen habe.«
Lady Brackton erhob sich, ging hinüber zu Elinor, zog sie von ihrem Stuhl hoch und betrachtete sie eingehend. »Ihr seid zu groß, um etwas von Alyson tragen zu können, und zu schlank für meine eigenen Kleider, aber mit ein paar Kunstgriffen sollte Euch meine Leibwäsche recht wohl stehen. Dolly, führe Lady Flower in mein Gemach und such einen Rock für sie heraus. Hilf ihr dann, die Kleider zu wechseln, und bring sie erst dann zu mir zurück, wenn sie wie eine Christenfrau aussieht.«
Alyson hatte diesen Worten mit bebender Ungewissheit zugehört. Sie hasste diese Frau, weil sie eine schamlose Betrügerin war. Natürlich hasste sie sie – sie hatte sich dazu entschlossen, sie zu hassen. Und trotzdem – wie konnte jemand eine verschämte Witwe hassen, die nicht einmal einen Unterrock besaß, um ihre Blöße zu bedecken?
Alyson hob den Blick von ihrer Seide und sah, wie Elinor zusammen mit Dolly in das innere Gemach ging. Sie seufzte ihr traurig hinterher, sprang dann plötzlich auf und lief an ihre Seite. Sie brachte es jedoch nicht über sich, Elinor ins Gesicht zu sehen.
»Lady Flower«, flüsterte sie. »Darf ich Euch aufwarten?« Sie erwartete keine Antwort, sondern rannte sofort in das Schlafgemach, öffnete die Truhe mit den Kleidern ihrer Tante und durchwühlte das feine Leinen und die weiche Wolle. In ihrer Hast brachte sie den ganzen Inhalt der Truhe durcheinander, fand aber nichts, was ihren Zwecken dienlich war.
Dolly war ihr dicht gefolgt und rang nun schnaufend die Hände. »Mylady, nun habt Ihr die guten Kleider Eurer Tante zerwühlt und durcheinander gebracht, als ob sie nur ein Haufen Lumpen wären, und trotzdem weder Rock noch Gewand für die Blöße dieser Dame gefunden.« Ächzend und seufzend kniete sich die Kammerzofe neben die Truhe und vergrub die Arme darin. »Helft der Lady beim Ausziehen, während ich hier wieder Ordnung schaffe.«
Mit brennenden Wangen und niedergeschlagenen Augen näherte sich Alyson Elinor. »Es scheint, ich bin jetzt Eure Kammerzofe, Lady Flower.« Ihre Hände zitterten vor Elinors Brust; Alyson war mit den Bändern und Ösen nicht vertraut. »Wo soll ich beginnen?«
»Das ist nicht nötig, Mylady. Ich habe diese Kleider beinahe ein ganzes Jahr allein an- und ausgezogen.«
Elinors Stimme klang scharf vor Verlegenheit. Als Alyson ihr endlich doch ins Gesicht schaute, sah sie, dass die klaren, grauen Augen verschwommen waren und sich scharfe Linien um die Mundwinkel gebildet hatten. Es war das Gesicht einer Frau, die von Scham und Trauer, keinesfalls aber von Stolz erfüllt war. Mitleid und ungewohnte mütterliche Gefühle überkamen Alyson.
»Ich würde Euch gern dienen, wenn Ihr es erlaubt«, sagte sie sanft. »Ihr seid eine Lady, die Witwe eines Ritters, und einer Lady wird für gewöhnlich von den Töchtern ihrer Freundinnen aufgewartet. Meine Tante ist für mich wie eine Mutter und da sie sich mit Euch angefreundet hat, ist es meine Pflicht, Euch zu dienen und gern von Euch zu lernen.«
Elinor starrte sie einen Augenblick lang an; dann breitete sie die Arme aus und lachte. »Gut disputiert, meine kleine Scholarin. Also werde ich Euch lehren, wie man einen Mann entkleidet, auch wenn ich Euch raten muss, dieses Wissen erst nach Eurer Hochzeit anzuwenden. Knöpft mein Wams auf und bindet die Bänder am Rücken los. An das Übrige komme ich selbst heran.« Sie schüttelte den haushofmeisterlichen Mantel ab und zog sich langsam aus.
Bald fielen ein wollenes, ausgepolstertes Wams und eine lange, buntscheckige Hose mit Lederboden auf die Binsen. Elinor stand zitternd und barfuß da; sie war nur noch mit einem Leinenhemd bekleidet. Als Dolly endlich ein passendes Stück Unterwäsche gefunden hatte, stand sie auf und nahm einen pelzbesetzten Schlafrock vom Haken. »Es ist zu kalt, um sich ganz auszuziehen, Mylady«, bemerkte
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