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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delia Sherman
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Sein Name war bekannt und gefürchtet von Seave bis Barthon: Lentus, Meister der Schatten, Zauberer aus dem Steinturm.«
    Lionel forschte in Elinors steinernem Gesicht nach Zeichen ihrer Abstammung, nach einem Kainsmal, einem Teufelsschatten auf Auge oder Stirn. Diese Frau, der er seine Liebe gestanden und in ihrer Eigenschaft als Haushofmeister sein Königreich anvertraut hatte, war ein Hexenkind und verwandt mit dem größten Feind des Reiches. Wut packte ihn. »Wir verstehen«, sagte er harsch. »Aber das erklärt uns nicht, woher du weißt, dass die Macht der Zauberin gebrochen ist.«
    Er erwartete, dass sie zögerte oder auswich, doch sie antwortete bereitwillig: »Die Zauberin ist mir erschienen; es war, als schaute sie durch ein Fenster in der Luft. Hinter ihr war ein Zimmer zu sehen. Unsere Blicke trafen sich. Obwohl ich ihr Gesicht nicht kannte, erfuhr ich in diesem Moment die tiefsten Geheimnisse ihres Herzens. Es war so ähnlich wie die Erfahrung der Liebe und doch ganz anders.« Elinor hielt inne. Mit noch festerer Stimme fuhr sie fort: »Ihr Name ist Margaret.«
    Lionel öffnete den Mund und wollte sie noch einmal fragen, woher sie das alles wusste, doch Elinor setzte hastig hinzu: »Beinahe sofort zog sie sich zurück, aber ich konnte sie ganz klein noch in der Ferne sehen. Sie blies in ein krummes Horn und ein Wirbelwind antwortete auf ihr Blasen. Das Horn zerbarst und das Bild wurde ausgelöscht.«
    »Dann ist sie also tot.« Lionel schwankte zwischen Erleichterung und Ärger darüber, dass sein Eid damit hinfällig geworden war. »Mein Königreich ist wieder sicher und die Hölle selbst hat deinen Gemahl und dein Kind gerächt.«
    Elinor schüttelte heftig den Kopf. »Die Zauberin Margaret ist nicht tot«, sagte sie. »Sie muss gefasst und verbrannt werden. Wir müssen ihre Asche vergraben, jedes Stäubchen weit entfernt von den anderen, damit ihre Seele keinen Ruheplatz findet.« Ihre Stimme war wie ihre Worte: unbeteiligt, farblos, eindeutig. »Sie muss getötet werden. Mir wird Gerechtigkeit widerfahren.«
    Lionel starrte sie an. Er hatte gehört, dass Angst, Kummer, Wut und auch hoffnungslose Liebe weibliche Eigenschaften waren. Doch er hatte noch nie von einer Frau gehört, die durch Leidenschaft und Hass so verhärtet worden war wie Elinor. Jede gewöhnliche Frau hätte geweint oder getobt, doch Elinor saß beherrscht und mit staubtrockenen Augen da.
    In seiner Verwirrung nahm Lionel Zuflucht zur Förmlichkeit. »Dann werden wir in Gottes Namen die Zauberin verbrennen«, sagte er steif. »Schließlich haben wir das deinem Gemahl versprochen.«
    Elinor machte eine Verbeugung und ließ ihn allein am Fenster zurück.
    Wie konnte diese Frau es wagen, nicht einmal alles anzuhören, was er ihr sagen wollte? Doch wie hätte er bei so viel Zorn zwischen ihnen von Liebe reden können? In diesem Augenblick wusste Lionel nicht mehr, ob er sie liebte oder verachtete.
    Doch als er sich das vergangene Gespräch ins Gedächtnis zurückrief, wurde er sanfter. Er hatte sie mit Wort und Tat zu plötzlich überfallen. Sie hatte ihm immer treu gedient, welches Blut auch in ihren Adern fließen mochte. Und wie konnte er erwarten, dass eine Frau eine neue Liebe einging, wenn die alte noch nicht gerächt war? Nach dem Tod ihrer Mutter blieb ihm noch genug Zeit für eine Liebeswerbung.
    In seinen Gedanken flackerte das Bild einer barbrüstigen Harpye mit hübschem Gesicht auf, die sich am verkohlten Leichnam einer Frau nährte. Solche Bilder waren der stinkende Atem vereitelten Verlangens, sagte er sich. Noch vor kurzem hatte er geglaubt, in einen Mann verliebt zu sein, dessen Körper ihm von Gott und der Natur vorenthalten wurde. Nun wusste er, dass er eine Witwe liebte. Witwen aber sind aufgrund ihres Kummers der Liebe entfremdet. Elinors Gemahl war bereits ein ganzes Jahr tot, doch die Ereignisse der letzten Zeit hatten sie entsetzt und überwältigt. Irgendwann würde sie nachgeben. Lionel rief Thomas Frith von dessen Posten vor dem königlichen Gemach.
    »Ruf die Adligen zur Ratsversammlung«, befahl er ihm. »Und zwar sofort. Wir werden auf die Suche nach einer Zauberin gehen.«

Kapitel Fünf

    Margaret saß allein im höchst gelegenen Zimmer ihres Steinturmes. Sie hielt die Armlehnen ihres großen geschnitzten Stuhls umklammert. Ein Tag und eine Nacht waren vergangen, seit sie sich auf ihm niedergelassen hatte. Einen Tag und eine Nacht hatte sie im Traumzustand der Verzweiflung verbracht. Aus ihrer

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