Die Blume von Surinam
dass sie in ihrer Heimat wahrscheinlich nie mit einer Droschke gefahren waren. Nach ein paar aufmunternden Worten kletterten beide jedoch zu ihr in den Wagen, und das Mädchen rückte ängstlich dicht an sie heran. Erika nahm sie liebevoll in den Arm. »Alles wird gut!«
Der Junge starrte unentwegt auf seine nackten Füße, während das Mädchen schüchtern, aber offenbar neugierig die Stadt beäugte, die sie auf ihrem Weg in Richtung Kinderhaus durchkreuzten.
Minou stand bereits vor der Tür und wartete auf die Neuankömmlinge, als die Droschke mit Erika und den Kindern um die Straßenecke in den Geenkamper Weg einbog. Erika musste lächeln, als sie die junge Frau vor der Tür stehen sah. Minou war nun vierundzwanzig Jahre alt und so hübsch, dass sich alle jungen Männer der Stadt nach ihr umdrehten. Aber Minou hatte mit Männern noch nichts im Sinn. Sie führte das Kinderhaus am Geenkamper Weg mit viel Engagement.
Juliette und Jean Riard hatten anlässlich ihrer Hochzeit ihre Gäste um Spenden für ein Kinderhaus gebeten.
»Was soll ich mit viel Tand, da kann ich mit dem Geld, das die Gäste für Hochzeitsgeschenke ausgeben, doch etwas Besseres anfangen«, hatte Juliette damals gesagt. Zwar waren nicht viele zur Hochzeit der beiden geladen gewesen, immerhin war es Juliettes zweite Ehe und mancher Bewohner der Kolonie sah dies mit äußerst kritischem Blick, aber die, die gekommen waren, ließen sich gerne auf Juliettes Idee ein. So hatte Juliette schließlich zusammen mit Minous Mutter Suzanna ein altes Haus am Geenkamper Weg kaufen können, in das auch Erika bald mit ihren Kindern einzog. Auch das hatte Aufsehen erregt.
Die Freundschaft zwischen Juliette und Suzanna war ungebührlich, aber Juliette ließ sich nie darin beirren, was Erika sehr beeindruckte. Immerhin war Suzanna die surinamische Ehefrau von Juliettes verstorbenem Mann, mit dem sie zwei Kinder hatte, Minou und Wico. Verbindungen zwischen weißen Männern und schwarzen Frauen waren in der Zeit vor 1863 durchaus nicht ungewöhnlich, und die Männer kümmertensich meist um ihre schwarzen Gespielinnen, auch wenn sie daheim zugleich ein gesittetes Eheleben mit einer weißen Ehefrau führten. Als der Sklavenstand jedoch aufgehoben wurde und ein Großteil der Weißen das Land verließ, blieben die Geliebten mittellos mit ihren Kindern zurück. Und genau für solche Kinder war das Haus am Geenkamper Weg gedacht: für uneheliche Kinder von weißen Männern und schwarzen Frauen, Mulatten, für die in der Welt der Väter kein Platz war und deren Mütter sich nicht um sie kümmern konnten oder durften. Die Schwangerschaften waren verpönt, vor allem weil zu erwarten war, dass die Kinder eine deutlich hellere Hautfarbe hatten als ihre Mütter, die selbst oft Mulatten waren. Sie waren meist Küchenmädchen, Hausangestellte oder ehemalige Arbeiterinnen auf den Plantagen und konnten sich mit Mühe und Not selbst versorgen.
Suzanna hatte Juliette damals schnell für ihre Pläne gewinnen können, ein solches Haus zu gründen, so hatte sie es Erika erzählt. Das Kinderhaus war zunächst als Tagesstätte für die Kinder gedacht, damit die Frauen ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Die Zeit nach 1863 aber brachte neue Gepflogenheiten mit sich. Schwarze Frauen ohne festen Arbeitgeber wurden als Freiwild betrachtet, Prostitution wurde plötzlich im großen Stil populär. Suzanna versuchte, den Frauen zu ehrbaren Arbeitsstellen zu verhelfen, aber es kamen immer mehr Babys unbekannter Herkunft zur Welt. Für einige dieser Kinder wurde das Haus am Geenkamper Weg ein Zuhause.
Leider hatte Suzanna das alles nicht mehr lange miterleben können. Viele Jahre hatte sie gegen wiederkehrende Fieberschübe gekämpft, aber im Frühjahr 1869, die Regenzeit war besonders feucht und heiß gewesen, erlag sie diesem Leiden. Ihre Tochter Minou, die sich bereits in jugendlichem Alter sehr im Kinderhaus eingebracht hatte, flehte Juliette und Erika an, eine Lösung zu finden, um das Haus weiterführen zu können.
»Erika, du solltest das übernehmen«, hatte Juliette schließlich zu ihrer langjährigen Freundin gesagt.
Erika aber zögerte zunächst. Ihr Mann Reinhard war damals gerade gestorben und sie war unschlüssig, was sie tun sollte. Gemeinsam waren sie in dieses Land gekommen, um die Herrnhuter in der Missionstätigkeit zu unterstützen. Reinhard machte sich sehr bald auf, den Menschen im Hinterland von Gottes Taten zu berichten. Erika arbeitete zunächst in der
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