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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Belago
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tränenüberströmt die Treppe heruntergelaufen, stieß ihre Mutter unwirsch beiseite und verließ das Haus durch die Hintertür. Julie schwante nichts Gutes, so aufgelöst hatte sie Karini noch nie gesehen. »Sieh nach ihr, Kiri, ich schaue oben bei den Jungen, was los ist.«
    Kiri folgte eilig ihrer Tochter, während Julie in die obere Etage lief, wo die Schlafzimmer untergebracht waren. Hier war es jetzt vollkommen still. Julie klopfte an Henrys Tür, bekam aber keine Antwort. Als sie nochmals energischer klopfte, vernahm sie aus dem Zimmer ein leises Schluchzen. Sie öffnete die Tür einen Spalt. »Henry? Was ist denn? Darf ich reinkommen?« Als sie keine Antwort erhielt, betrat sie vorsichtig das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Henry lag bäuchlings auf seinem Bett und versteckte den Kopf zwischen den Kissen, sein Körper bebte.
    Ein Blick auf den Fußboden ließ Julie erahnen, welches Malheur sich hier abgespielt hatte. Das Modell der Laurenskerk standneben dem Bett, ringsumher diverse Baumaterialien, aber der Turm der Kirche hatte einen deutlichen Knick, der zuvor nicht vorhanden gewesen war.
    »Ach, Henry«, Julie setzte sich zu ihrem Sohn auf die Bettkante, »das ist doch nicht schlimm, das kann man bestimmt wieder richten.«
    Henry schluchzte nochmals leise. Julie strich ihm beruhigend über den Rücken.
    »Na komm … wie ist das denn passiert?«
    »Martin hat … er ist so gemein.« Henry hob endlich sein Gesicht aus den Kissen und wischte sich mit dem Hemdsärmel die Tränen von den Wangen. Sein Kinn bebte. »Er hat … nur weil er das Schiff … und Karini …«
    »Nun beruhige dich erst mal und erzähl mir, was passiert ist.« Julie reichte ihm ihr Taschentuch, in das er geräuschvoll schnäuzte.
    Dann schaute er betroffen auf das lädierte Modell der Kirche. »Karini und ich hatten gerade die Schindeln auf den Glockenturm geklebt, da kam Martin und hat gemeint, das hält sowieso nicht. Karini hat gesagt, sie ist sich sicher, dass das hält, aber Martin hat nur gelacht. Karini hat dann gesagt, dass Martins Boot doch auch nicht schwimmen kann. Da hat Martin plötzlich ganz böse geguckt und gesagt … da hat er gesagt …«, noch einmal wischte sich Henry mit dem Ärmel über das Gesicht, »wenn Karini da mitgebaut hat, wird das sowieso nicht halten, weil Neger ja nichts könnten, und ich würde Ärger in der Schule bekommen, wenn der Lehrer erfährt, dass ein Neger an meinem Modell mitgebaut hat.«
    Julie war entsetzt. Sie konnte die barsche Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, nur mit Mühe unterdrücken. Ein seltsam kaltes Gefühl breitete sich in ihr aus. Martin wurde ihr, je älter er wurde und je mehr Wochen zwischen ihren Wiedersehen lagen, zunehmend fremd. Solche Worte hatte sie aus seinem Mundbisher noch nicht vernommen. Kein Wunder, dass Karini in Tränen aufgelöst war! Wo sie doch eigentlich fast wie Geschwister waren.
    »Ach Schatz, das hat Martin doch bestimmt nicht so gemeint«, versuchte sie, die Situation zu retten. Ihr war durchaus bewusst, dass diese Worte nicht nur Henry, sondern vielmehr auch sie selbst beruhigen sollten.
    »Doch, hat er und dann … hat er mit dem Fuß …«, Henry zeigte mit dem Finger auf den abgeknickten Turm, bevor er beschämt den Blick senkte und leise gestand: »Ich bin dann rüber und … das Boot …«
    »Oh weh!« Julie ahnte, dass sie in einem weiteren Zimmer gebraucht wurde. »Hör zu, Henry, ich rufe jetzt Jean, er hilft dir, den Turm wieder zu richten. Ich spreche mit Martin.« Sie strich ihrem Sohn liebevoll übers Haar, bevor sie das Zimmer verließ. Im Flur rief sie nach ihrem Mann und erklärte ihm kurz leise, was passiert war, bevor sie ihn zu Henry ins Zimmer schob. »Hilf ihm … ich schaue mal, was Martin macht.«
    Julie klopfte zweimal an Martins Tür und trat, als keine Reaktion erfolgte, leise ein. Der Junge saß auf dem Fußboden neben seinem Modellschiff. Der große Dampfschornstein stand ähnlich schief in der Luft wie Henrys Kirchturm. Julie erschrak über das aggressive Äußere des Modells: Es war ein Kriegsschiff, tiefschwarz und mit mächtigen Kanonen bestückt. Julie raffte ihren Rock und hockte sich neben Martin, doch als sie ihre Hand auf seine Schulter legte, zuckte er zurück.
    »Lass mich!«, maulte er, wobei seine Stimme einen sprunghaften Wechsel der Tonlage zeigte.
    »Ach Martin, was ist denn los?« Julie bemühte sich um einen tröstenden Tonfall und war zugleich darauf bedacht, ihn nicht wie ein Kind

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