Die Blume von Surinam
sein, dass ein Richter das im Falle einer Verhandlung auch so sehen würde? Zumal das Opfer ein Weißer war? Nein, es war besser, zu schweigen und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre. Sie versuchte, sich mit Arbeit im Plantagenhaus abzulenken. Es gab mehr als genug zu tun. Ihre Mutter war noch nicht wieder ausreichend bei Kräften, und Karini war fort, also übernahm Inika diese Aufgabe nur zu gern. Es fiel ihr nicht schwer, sie hatte nun lange genug auf Rozenburg im Haushalt gedient.
Diese Position ermöglichte es Inika, sich so oft wie möglich im Plantagenhaus aufzuhalten. Ein Umstand, der ihr sehr gefiel. Siepolierte die Möbel aus edlem dunklen Holz und schüttelte die weichen Betten sorgsam auf. Dabei konnte sie die Geschehnisse weit von sich schieben und sich in Tagträumen verlieren. Wie es wohl war, tagtäglich in so einem Haus zu leben, ohne darin arbeiten zu müssen? Meist mahnte sie eine innere Stimme, dass sie sich bald im Arbeiterdorf oder gar im Gefängnis wiederfinden würde, in ihren Träumen jedoch führte sie ein glückliches, sorgloses Leben unter dem Dach eines solchen Hauses. Niemand würde ihr mehr etwas zuleide tun, im Gegenteil: Sie wäre diejenige, die Anweisungen gab. Nach und nach verschwammen Wirklichkeit und Traum, und sie musste sich nicht selten zusammenreißen, in das Hier und Jetzt zurückzufinden. Inika fasste einen Entschluss: Sie würde sich anpassen, sie würde jede Möglichkeit nutzen, die sie ihren Träumen ein Stück näherbrachte. Und eine dieser Möglichkeiten lag hier auf Watervreede. Bei Masra Martin.
Und jetzt war Henry zur Befragung durch den Posthalter nach Watervreede zurückgekehrt.
Als die Untersuchung beendet war und der Posthalter sich anschließend endlich anschickte, die Plantage zu verlassen, waren alle sichtlich erleichtert, auch wenn er keine Antwort auf die Frage nach dem Mörder von Masra Pieter geben konnte. Inika stand mit Misi Juliette und dem Posthalter im Flur, bereit, ihm seine Jacke und seinen Hut zu reichen.
»Mevrouw Riard, ich werde meine Aufzeichnungen an die Polizeistation und an die Kolonialverwaltung in Paramaribo schicken. Rechnen Sie bitte damit, dass man Sie noch einmal zu den Vorfällen befragen wird. Dafür werden wir dann allerdings alle in die Stadt reisen müssen.«
Misi Juliette nickte und bedankte sich für seine Mühe. Inika übergab dem Posthalter seine Jacke und seinen Hut und knickste demütig, bevor er mit einer angedeuteten Verbeugung in Richtung der Misi und der Masras das Haus verließ. Masra Jean brachte ihn zu seinem Boot.
Inika trat mit Misi Juliette auf die vordere Veranda, wo die Misi an der Balustrade stehen blieb. Auch Henry und Masra Martin traten durch die Tür und setzten sich in zwei Sessel im hinteren Bereich der Veranda. Alle blickten dem Posthalter und Masra Jean schweigend nach, dann sagte die Misi entschlossen: »Ich denke, wir sollten nach Hause fahren.«
Inika schrak hoch. Sie wollte nicht zurück nach Rozenburg, zurück in die kleine Hütte des Arbeiterdorfes. Sie wollte hierbleiben, denn auch wenn auf Watervreede viele dunkle Schatten hausten, lag doch ihre größte Chance hier. Und jetzt, wo Masra Pieter nicht mehr lebte …
»Misi Juliette?«
»Ja?«
Die Misi blickte sie interessiert an, und Inika beschloss, einen Versuch zu wagen. »Misi Juliette, ich würde gerne auf Watervreede bleiben, solange es meiner Mutter noch nicht so gut geht. Und jetzt, wo Karini fort ist, wird man hier doch ein Hausmädchen brauchen.«
Nun war es heraus. Gespannt beobachtete sie Misi Juliette, die sie nachdenklich ansah.
»Sie hat recht«, stimmte Masra Martin ihr zu, »ich kann hier jede helfende Hand gebrauchen, wenn ihr alle abreist. Und Sarina und Thijs werden sicher noch einige Zeit brauchen, bis sie wieder vollends genesen sind.«
Misi Juliette wiegte nachdenklich den Kopf. »Inika, denkst du, das schaffst du hier alles allein?«, fragte sie schließlich.
Inika war überzeugt, den Haushalt zur Zufriedenheit von Masra Thijs und auch von Masra Martin führen zu können, und antwortete mit fester Stimme. »Ja, Misi, ich denke schon.«
Wieder schwieg die Misi eine lange Weile, auch die jungen Masras sagten kein Wort. Gerade, als Inika befürchtete, die Misi würde ihren Vorschlag ablehnen, seufzte Misi Juliette auf und sagte langsam: »Gut, wir machen es so. Du bleibst auf Watervreede und führst den Haushalt, bis Sarina wieder auf den Beinen ist.« Sie lächelte.
Inika fiel ein Stein vom Herzen. Sie
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