Die Blume von Surinam
nicht unschuldig war. Ihr Ziehsohn, der leibliche Sohn des Pieter Brick, hatte zum einen kürzlich erfahren, dass sein Vater wieder heiraten wollte, zum anderen, dass dieses«, er schaute auf seinen Zettel, » Negermädchen seine Halbschwester war.« Die Art, in der er das Wort betonte, ließ keinen Zweifel daran, wie bedenklich er diesen Umstand fand.
Julie spürte unmittelbar einen Kloß in ihrem Hals. Jean schien ihren Schmerz zu spüren und streichelte ihr sanft über den Arm. Wegemakers fuhr fort: »Ihr eigener Sohn, Henry, hatte dies ebenfalls gerade erfahren und war sehr betroffen von der Geschichte mit dem Negermädchen, das zuvor auch noch von Pieter Brick geschlagen worden war.« Der Posthalter setzte sich aufrecht hin und atmete einmal tief durch. »Zudem waren die kranke Inderin, ihre Tochter und deren Mann im Gästehaus. Eine schwarze Heilerin und die Ruderneger, die sie von Ihrer Plantage mitgebracht hatten, befanden sich im Arbeiterdorf.« Er schloss seine Aufzählung und sah Julie einen Moment betroffen an. »Mevrouw Riard, ich mag es kaum aussprechen, aber hier hat scheinbar jeder einen Grund, Pieter Brick nach dem Leben zu trachten.«
Julie nickte. Daran bestand kein Zweifel. Blieb die Frage, welche Rückschlüsse der Posthalter ziehen würde. Angespannt wartete sie auf die Fortsetzung.
Wegemakers räusperte sich. »Nun, ich würde gerne noch Ihren Sohn Henry befragen. Denken Sie, es ist möglich, ihn hierher zu bestellen, oder muss ich …«
Julie spürte, wie sie innerlich erstarrte. Sie warf Jean einen hilflosen Blick zu, der einen Moment zögerte, bevor er antwortete: »Wenn Sie erlauben, werde ich ihn holen. Allerdings wird das einen Tag dauern.« Jean stand auf und strich seine Hose glatt.
»Gut, ich werde warten.«
Julie warf Jean einen langen Blick zu. Wie gerne hätte sie Henry aus der Sache herausgehalten und die Angelegenheit schnell abgehandelt, stattdessen würde der Posthalter nun länger als erwartet auf Watervreede verweilen.
Jean sattelte noch in der gleichen Stunde sein Pferd und machte sich auf den Weg nach Rozenburg.
Als Jean und Henry am nächsten Mittag zusammen auf Watervreede eintrafen, las Julie sofort in Jeans Gesicht, dass etwas nicht stimmte. Sie lief zu ihm, als er vom Pferd stieg.
»Karini ist verschwunden und Kiri sagt nicht, wo sie ist. Henry hat sie überall gesucht … selbst ins Maroondorf hat er jemanden geschickt. Nichts.«
»Oh nein!« Kiri hatte ihre Tochter also fortgeschickt. Julie konnte es ihr nicht verdenken. »Hast du Kiri gesagt, dass Pieter tot ist?«
Jean nickte. Henry sprang von seinem Pferd.
»Mutter … ist Pieter wirklich tot?«
Julie bemerkte, dass es ihm nur mit Mühe gelang, seine Erleichterung zu verbergen. Sie wollte gerade zu einem warnenden Kommentar ansetzen, als Wegemakers die hintere Veranda betrat. »Ah, der Sohn, dann kann ich ja weitermachen.« Er winkte Henry zu sich. »Kommen Sie bitte mit.«
Jean nickte seinem Sohn aufmunternd zu. »Alles in Ordnung, Henry, erzähl ihm einfach, was geschehen ist.«
Wegemakers nahm Henry mit ins Haus. Julie sah in Jeans Augen, dass er mindestens so besorgt war wie sie selbst.
Inika war nervös, seit der Posthalter gegen Mittag auf die Plantage gekommen war. Nachdem er sich alles angesehen, mit den Herrschaften gesprochen und sogar nach Masra Henry hatte schicken lassen, sprach er auch kurz mit Sarina und Bogo. Inika war erleichtert, als sie hörte, dass ihre Mutter sich in der Tat nicht mehr daran zu erinnern schien, dass Inika in der besagten Nacht für kurze Zeit das Zimmer verlassen hatte. Insgeheim hatte sie diese Befürchtung gehegt, sich aber nie getraut, Sarina darauf anzusprechen.
Als der Posthalter sie schließlich selbst zur Befragung rief, schlug Inikas Herz bis zum Hals. Sie konzentrierte sich darauf, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen, während der Posthalter ihr einige allgemeine Fragen zu ihrer Person und anschließend zum Verlauf des Abends und der entsprechenden Nacht stellte. Inika registrierte erleichtert, dass er ihr gegenüber keineswegs misstrauisch schien, und so durfte sie den Raum nach kurzer Zeit verlassen.
Auf dem Rückweg zur Küche horchte sie in sich hinein, wie sie es in den letzten Tagen so oft getan hatte. Aber sosehr sie sich auch bemühte, sie empfand kein schlechtes Gewissen, Masra Pieter erstochen zu haben. Letztendlich war es Notwehr gewesen – er hatte ihr Gewalt angetan, und sie hatte sich gewehrt, doch wie konnte sie sicher
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