Die Blume von Surinam
Kosten trug.
Sie querten die belgische Grenze und rasteten in Brügge, der ersten größeren Stadt. Henry war fasziniert von der Bauweise der Häuser, er hatte von den unterschiedlichen Baustilen in Europagelesen, jetzt aber die Werke vieler Jahrhunderte dicht an dicht nebeneinander zu sehen begeisterte ihn. Wie jung war doch dagegen Surinam!
Die mächtige Kathedrale St. Salvator mit ihren fünf Kapellen überragte die Stadt und schützte ihre Nachtruhe in der nahe gelegenen Herberge. Bereits am nächsten Tag kamen sie nach Gent, und hier wurden Henrys Erwartungen noch übertroffen. Die Hauptstadt von Surinam kam ihm im Gegensatz zu Gent wie ein Dorf vor. Die von Grachten durchzogene Stadt begrüßte die Ankömmlinge mit langen, dicht stehenden Bürgerhäusern und imposanten Handelsgebäuden. Mitten in der Stadt fuhren sie um eine mittelalterliche Wasserburg herum, die Gravensteen . Henry hatte ein solches Bauwerk noch nie gesehen, dass es so etwas in Europa überhaupt gab, überraschte ihn.
Tag um Tag, Herberge um Herberge näherten sie sich Amsterdam. Von Gent über Sint-Niklaas, Antwerpen, Brecht, über die belgisch-niederländische Grenze nach Breda und dann über Utrecht immer weiter gen Norden. In Henrys Kopf verschwammen die Städte und Dörfer. In Surinam reiste man von Plantage zu Plantage, hier aber von Stadt zu Stadt, und die Fülle verwirrte ihn. Aber trotz seiner schier unendlichen Größe, der weiten Felder und unzähligen kleinen Dörfer und großen Städte erschien das Land trist und grau, im Gegensatz zu der üppigen Tropenpracht seiner Heimat. Die Menschen, denen sie begegneten, schauten immer misstrauisch und übellaunig. In den Herbergen blieben die Gäste unter sich, ein Umstand, der Henry ebenfalls fremd war. In Surinam kannte fast jeder jeden, und man freute sich immer über Besuch. Neuankömmlinge wurden stets gefragt, woher sie kamen und wohin sie gingen. Hier in diesem Land interessierte das niemanden. Und dann war da noch etwas: In Surinam sprach man in Bezug auf die Niederlande immer gerne von der goldenen Heimat , die aber hatte Henry noch nicht finden können.
Abseits der imposanten Architektur und Größe der Städte, drückten sich zahlreiche zerlumpte Gestalten an die Häuserecken, hielten die Hände auf und bettelten mit zahnlosen Mündern nach ein paar Münzen. In den Herbergen hatte man im Gastraum schneller eine Dirne auf dem Schoß als einen Krug Bier auf dem Tisch, und auch die baufälligen Häuser auf dem Land sprachen nicht gerade von Reichtum. Da ging es sogar den ehemaligen Sklaven in Surinam besser, befand Henry. Vieles, was er sah, verwirrte ihn, machte ihn nachdenklich und ließ ihn an den Geschichten über die Niederlande zweifeln. Er bekam Heimweh, Heimweh nach dem wohlig warmen Klima der Tropen, den Geräuschen des Regenwaldes und selbst nach den mückenumschwirrten Abenden am Fluss. Wie es Karini wohl erging? Ob sie ähnlich empfand? Ob Gesine sie gut behandelte? Je näher sie Amsterdam kamen, desto mehr wurde Henry von der Angst befallen, diese Reise umsonst angetreten zu haben. Wenn es ihr bei Misi Gesine so gut gefiel, dass … Was, wenn Karini gar nicht mit zurück nach Surinam wollte? Nein, wenn er ihr seine Liebe gestehen würde und sie erfuhr, dass ihr keine Gefahr drohte, würde sie wieder mit zurückkommen. Wer wollte denn schon freiwillig in diesem grauen, kalten Land bleiben?
Kapitel 18
K arini hätte sich am liebsten gleich am nächsten Tag auf den Weg gemacht, Masra Wims Kontor zu suchen. Aber was konnte sie da eigentlich erwarten? Die Leute kannten sie nicht, und ihr einziges Pfand, der Zettel von Masra Wim, hatte sich mit dem Regen aufgelöst. Für die Rückreise nach Surinam brauchte sie Geld, und es war mehr als fraglich, ob die fremden Menschen in Masra Wims Kontor ihr, einem fremden schwarzen Mädchen, etwas geben würden. In einem hatte Tante Dela recht: Ohne Geld war man nichts in diesem Land. Karini besaß keine einzige Münze, außerdem hatte sie keine Unterkunft und konnte sich nicht einmal etwas zu essen kaufen.
Also blieb sie bei Tante Dela. Hier wollte sie in Ruhe überlegen, was sie tun konnte, um das Geld für ihre Rückreise zu bekommen. Sie versuchte, sich im Haus nützlich zu machen, das kannte und konnte sie wenigstens. Nach zwei Wochen aber empfing Tante Dela sie eines Morgens mit einem betrübten Gesicht.
»Kindchen, wir müssen uns etwas überlegen. So gerne, wie ich dich hab, und du bist ein wirklich anständiges Mädchen,
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