Die Blume von Surinam
Sturm getobt, und die Idee, sich ein Herbergszimmer zu suchen, hatte er, angesichts des Wetters, schnell verworfen. So hatte er mit dem Kopf auf den Armen auf dem verklebten Tisch geruht, während Schrievenberg zwei Stühle zusammengerückt, die Füße auf dem einen hochgelegt hatte und mit dem Kopf im Nacken ebenfalls eingeschlafen war. Am nächsten Morgen weckte sie das Poltern eines Wischeimers und das Gezeter der Frau des Gastwirtes, die den Schankraum reinigen wollte. Dabei waren Henry und Schrievenberg durchaus nicht die Einzigen, die die Nacht dort verbracht hatten, weshalb die Frau schimpfte wie ein streitsüchtiger Papagei, alle Männer hochtrieb und aus dem Haus jagte. Während sich dieMatrosen zu ihren Schiffen trollten, standen Henry und Schrievenberg im Nieselregen.
»So schlecht ist das Wetter doch gar nicht mehr. Meinen Sie nicht, das Schiff …« Henry sah sich unschlüssig um.
»Nee, nee, das war ja erst der Vorgeschmack, der eigentliche Sturm wird noch aufziehen. Die Schiffe werden mindesten zwei Wochen hier festsitzen. Um diese Jahreszeit ist die Nordsee sehr tückisch.«
Nein, zwei Wochen wollte Henry keinesfalls untätig herumsitzen. »Und mit der Droschke? Wie schnell sind wir damit im Amsterdam?«
»Hm«, Schrievenberg wackelte mit dem Kopf. »Ich denke, in acht bis zehn Tagen.«
»So spät?« Henry war ehrlich überrascht, er hatte gehofft, die Strecke über Land schneller hinter sich bringen zu können. Betrübt senkte er den Kopf. Was sollte er tun? Sollte er warten, bis das Schiff wieder fahren konnte oder den Weg mit Schrievenberg über Land antreten? Er würde so oder so Zeit verlieren, blieb die Frage nach der Finanzierung. Die Schiffspassage hatte er bezahlt, sie würde ihm keine zusätzlichen Kosten verursachen. Ganz im Gegensatz zur Miete einer Droschke, zumal über einen solch langen Zeitraum. Andererseits würde Schrievenberg ja die Hälfte des Betrages übernehmen, und wenn er dadurch tatsächlich schneller und sicherer ans Ziel kam …
»Sie werden auf jeden Fall eine Droschke nehmen?«
»Ja, auf das Schiff steige ich nicht mehr.« Schrievenberg nickte. »Was ist? Kommen Sie mit?« Er nickte ihm aufmunternd zu.
Henry sah noch einmal kurz zum Hafenbecken, wo die Masten der Schiffe im Takt der hohen Wellen auf und nieder wippten, umkreist von einigen tapferen Möwen. Dann klappte er seinen Kragen hoch, wandte sich zu Schrievenberg um und nickte. »Nach Amsterdam, Mijnheer Schrievenberg.«
Es war nicht leicht, eine Droschke zu finden. Die Aussicht auf eine mehrtägige Fahrt über Land bei unstetem Wetter schien die meisten Kutscher abzuschrecken. Henry konnte es ihnen nicht verübeln, zumal sie ja anschließend vermutlich ohne Fahrgast die gesamte Strecke zurückreisen mussten. Nach über einer Stunde fanden sie endlich jemanden, der nach zähen Verhandlungen über den Fahrpreis gewillt war, die beiden Männer zu transportieren. Erleichtert packte Henry das Gepäck in den Wagen, half Schrievenberg beim Einsteigen und die Fahrt ging los.
Kapitel 16
D ass Tante Dela keine gewöhnliche Herberge führte, wurde Karini gleich am nächsten Morgen bewusst. Um den kleinen Tisch in der Küche scharten sich drei weitere Mädchen. Müde, mit übernächtigten Gesichtern, die einstmals üppige Schminke verwischt, saßen sie dort und umklammerten die Becher mit dem heißen Kaffee. Als Karini hereinkam, sahen sie sie nur kurz an und begrüßten sie mit einem schwachen Nicken.
»Guten Morgen, Karini, ich hoffe, du hast gut geschlafen.« Tante Dela war offensichtlich bester Laune. »Mädchen, ich möchte euch Karini vorstellen, ich habe sie gestern Nacht ganz allein auf der Straße aufgegriffen. Karini, das sind Karla, Johanne und Beke.«
Karini lauschte ihren Worten und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Die Mädchen waren kapumeids, Huren, wie sie sich in Paramaribo am Hafen herumtrieben! Wo war sie hier nun hingeraten?
»Na, da hast du aber Glück gehabt.« Das Mädchen, das ihr als Beke vorgestellt worden war, schaute Karini mit einem schiefen Grinsen an.
Tante Dela aber schob Karini zum Tisch. »Komm, setz dich, magst du auch einen Kaffee?«
»Ja, danke Misi.« Karini lächelte sie schüchtern an.
»Misi?« Beke lachte. »Mädchen, wo kommst du denn her?«
»Aus Surinam«, antwortete Karini.
»Aus wo? «
Karini wurde bewusst, dass Beke die Frage zunächst wohl nichtganz ernst gemeint hatte, jetzt aber wirklich überrascht zu sein schien.
»Sie ist als
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