Die Blume von Surinam
Henry fragte sich durch. Er hatte gehofft, diesen Stadtteil schnell erreichen zu können, hatte aber wieder einmal die Entfernungen unterschätzt und gelangte erst nach geschlagenen zwei Stunden Fußmarsch ans Ziel.
Das Handelsviertel lag an einer breiten Gracht, auf der einige Frachtschiffe vor Anker lagen. Die weit ausladenden Flaschenzüge an den Häusergiebeln ließen darauf schließen, dass viele der Güter gleich vom Schiff in die Lagerräume gehoben wurden. Henry reckte ein ums andere Mal den Hals, um die Konstruktionen zu begutachten. In Surinam baute niemand eine solche Vorrichtung. Aber dort gab es auch genug Schwarze, die man für jegliche Arbeit heranziehen konnte. Die hingegen sah er hier nirgendwo, was ihn überraschte. Er wusste nicht wieso, aber er hatte fest damit gerechnet, dass es in den Niederlanden ebenso viele Schwarze gab wie in Surinam. Warum hatte man jahrhundertelang Sklaven nach Surinam gebracht, das Heimatland dabei aber nicht bedacht?
Inmitten einer dicht gedrängten Häuserreihe fand er das Handelskontor Vandenberg, so verkündete es ein großes bronzenes Schild. Ein schmuckloser, wuchtiger Bau mit einer großen Eingangstür. Henry klopfte mithilfe des goldenen Türrings, und sogleich öffnete ihm ein blasser junger Mann mit dunklen Haaren und Lesebrille.
»Guten Tag! Mein Name ist Henry Leevken und ich komme aus Surinam. Wim Vandenberg trug mir auf, mich hier zu melden, wenn ich in Amsterdam angekommen bin.« Henry haspelte schnell seine Begrüßung herunter, da er befürchtete, der blasse junge Mann könnte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen.
»Ja … kommen Sie doch bitte herein.« Der junge Mann trat beiseite und ließ Henry eintreten. Im Kontor war es schummerig und es roch nach einer Mischung aus Kaffee, Gewürzen und dem unverkennbar süßen Duft von Melasse. Ein langer Flur, in dem Henry nun stand, kündete davon, dass das Haus zwar an sich recht schmal war, hinten heraus aber ungeahnte Dimensionen annahm. Das Lagerhaus schien gleich daran anzugrenzen.
»Bitte, folgen Sie mir hier entlang. Mein Name ist van Galen. Ich bin der Prokurist hier, während Mijnheer Vandenberg in Surinam verweilt. Ich hoffe, er ist wohlauf.«
»Ja, es geht ihm gut«, versicherte Henry und folgte van Galen in ein Büro. Dort standen neben einem großen Schreibtisch einige Stehpulte. An einem davon stand ein Mann, der nun, da Henry den Raum betrat, kurz aufschaute und nickte.
»Bitte, setzen Sie sich doch, Mijnheer Leevken.« Er deutete auf einen Stuhl und nahm selbst hinter dem großen Schreibtisch Platz. Henry überreichte dem Mann den Brief, den er von Wim erhalten hatte. Galen studierte ihn kurz und bedachte Henry dann mit einem fragenden Blick. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin gekommen, weil ich nach einer jungen Dame suche, Karini Rozenberg. War sie noch nicht hier?«
»Nein, ich bedaure.«
»Können Sie mir dann vielleicht sagen, wo die Damstraat liegt? Ich möchte zum Haus der Familie van Honthorst.« Henry war froh, vorab Wims zweiten Zettel studiert zu haben, wie sonst hätte er Kenntnis von Gesines Familiennamen haben können?
»Oh ja, natürlich. Die Damstraat liegt fast im Zentrum.«
»Danke.« Henry erhob sich. »Komme ich … ist das fußläufig erreichbar oder sollte ich besser eine Droschke nehmen?«
Van Galen lachte. »Eine Droschke wäre sicherlich bequemer und schneller.« Auch er erhob sich und reichte Henry die Hand. »Hat mich sehr gefreut. Sollten Sie Schwierigkeiten haben oder Ihre Rückreise planen, werden wir Ihnen hier jederzeit behilflich sein.«
»Danke, vielen Dank.« Henry war wirklich froh über diese Anlaufstelle in Amsterdam. Sie gab ihm ein kleines bisschen ein Gefühl von Sicherheit in diesem fremden Land.
Kapitel 21
M ädchen, du sorgst wirklich für gute Geschäfte.« Onkel Alvers lobte Karini jeden Abend, wenn sie von der kleinen Bühne stieg, und das machte sie jetzt schon seit fast einer Woche tagtäglich. Ihr kleiner exotischer Auftritt hatte sich herumgesprochen, jeden Abend trafen ein paar mehr Männer in Onkel Alvers Schankraum ein.
»Aber hör mal: Ein paar haben schon nachgefragt … Du könntest deine Einkünfte noch verbessern, wenn du … na, du weißt schon.«
Karini traute ihren Ohren nicht. Der Schreck stand ihr offensichtlich deutlich im Gesicht geschrieben, denn nun mischte sich auch Jette ein.
»Wenn sie nicht will, dann lass sie …« Jette schob Karini schnell in den Umkleideraum der Mädchen. »Er will immer nur
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