Die Blume von Surinam
helfen. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest …«Der Diener, der Henry die Tür geöffnet hatte, deutete ihm den Weg hinaus.
Henry versuchte, Gesines Blick zu erhaschen, doch sie wich ihm aus. »Falls es dich interessiert: Pieter ist tot«, stieß Henry hervor. Zu seiner Überraschung aber zuckte Gesine in einer Geste der Gleichgültigkeit nur mit den Achseln. Eine in Henrys Augen höchst erstaunliche Reaktion, da sie diesen Mann doch fast geheiratet hätte … Aber nein. Henry wollte sich nicht darüber aufregen, Gesine war es nicht wert. Er konnte Wim plötzlich sehr gut verstehen. Diese Frau war eine Plage.
Er murmelte ein undeutliches »Auf Wiedersehen« und verließ das Haus. Ziellos marschierte er durch Amsterdam, umgeben von trübem Wetter, Nieselregen und Menschen, die hastig mit gesenktem Kopf an ihm vorbeieilten. Henry beschloss, sich zunächst einmal um ein Zimmer für die Zeit der Suche zu kümmern, und schlug die Richtung ein, in der er das Stadtzentrum vermutete. Dort würde es sicherlich eine Herberge mit einem Zimmer für ihn geben. Und dann würde er versuchen, Karini zu finden. Wie, das wusste er noch nicht. Er musste versuchen, sich in sie hineinzuversetzen. Wo würde es Karini hintreiben? Wo würde er sich an ihrer Stelle aufhalten, wenn er in einer Stadt gestrandet wäre, in der er niemanden persönlich kannte? Noch dazu, wenn er ohne Geld unterwegs war? Er würde sich sicherlich als Erstes an jemanden wenden, mit dem er zumindest einen Anknüpfungspunkt hatte: Familie Vandenberg. Aber das hatte er bereits versucht, dort war Karini nicht aufgetaucht, aus welchem Grund auch immer. Eine andere Lösung fiel ihm nicht ein. Missmutig stapfte er durch den Nieselregen.
Henry fand ein kleines, ungemütliches Zimmer in einem Haus namens Grachtensteegen . Die Herbergsmutter war eine dicke, feiste Frau mit einer fleckigen Schürze. »Aber keine Huren im Haus, junger Mann«, herrschte sie Henry an, als sie ihm dasZimmer zeigte. Henry schüttelte nur müde den Kopf. Nachdem die Frau verschwunden war, zog er sich seine feuchten Sachen aus und legte sich in das Bett. Die Laken waren klamm, und er zitterte. Es war ungewohnt, so zu frieren, befand er. Zu später Stunde bemerkte er, dass er auch in diesem kalten Land nicht vor Ungeziefer gefeit war. Irgendetwas krabbelte unter seiner Decke und stach ihn unentwegt. Ohne Decke konnte er aber auch nicht liegen, dann würde er vermutlich erfrieren. Missmutig warf er sich hin und her, auf der Suche nach Schlaf.
Am nächsten Morgen servierte ihm die Frau, deren Schürze über Nacht noch mehr Flecken bekommen zu haben schien, einen Trank, den sie stolz als Kaffee bezeichnete. Henry war schon ob des Zustandes der Tasse skeptisch, als er dann aber durch die braune Brühe den Boden des Porzellans sehen konnte, verzichtete er auf das Frühstück und eilte sich, die Herberge zu verlassen. Kurz war er geneigt, sich einen anderen Schlafplatz zu suchen. Sein Geldbeutel aber war nicht sonderlich gut gefüllt, und so beschloss er, das vergleichsweise günstige Zimmer zu behalten.
Er wanderte zunächst ziellos umher. Dann kam ihm der Gedanke, die Stadt systematisch abzulaufen. Das Stadtzentrum war von mehreren ringförmig angelegten Grachten durchzogen, das hatte er mittlerweile verstanden. Würde er jede Straße entlang der Grachten abgehen, dann über die Brücken zur jeweils nächsten wechseln, könnte er nach und nach die ganze Stadt durchsuchen. Vorausgesetzt, dass Karini sich genau zu dem Zeitpunkt, an dem er eine Stelle passierte, dort aufhielt. Nein, die Wahrscheinlichkeit war zu gering.
Resigniert setzte Henry sich auf eine Bank nahe einer Gracht. Es war über Tag noch kälter geworden und die Feuchtigkeit auf dem Boden knisterte plötzlich unter seinen Füßen. Henry spürte ein Kribbeln in der Magengegend. Eis? Vorsichtig fuhr er mit der Sohle seines Schuhs über die blanke Fläche, die sich zu seinen Füßen gebildet hatte. Fasziniert wischte Henry mit der Schuhspitze auf der blanken Schicht herum und sah die grauen Wolken über sich wie in einem Spiegel vorüberziehen. Und als wolle ihn der Himmel ermutigen, nicht aufzugeben, mischten sich unter den dünnen Regen dicke weiße Flocken. Es schneite. Henry sah zum ersten Mal in seinem Leben Schnee. Und freute sich wie ein kleiner Junge.
Kapitel 23
I nika versuchte, ihre Schwangerschaft so lange zu verbergen, wie es nur eben ging. Sie bemerkte jedoch, dass ihre Mutter sie gelegentlich mit einem
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