Die Blume von Surinam
Beke sah sie eindringlich an.
Karini war unsicher, zuckte dann aber die Achseln. »Ich glaube, ja.«
»Du glaubst?« Johanne stellte mit einem Knall ihren Kaffeebecher auf den Tisch. Karini zuckte zusammen.
»Karini, weißt du, was das bedeutet?«
Karini wusste es nicht.
Karla half ihr auf die Sprünge. »Mädchen … du hast dir ein Ei ins Nest gelegt! Du hast nicht aufgepasst … du bist schwanger!«
Karini traute ihren Ohren nicht. »Schwanger?« Nein, das war doch unmöglich! Sie hatte doch … sauer stieg ihr der Inhalt ihres Magens im Hals empor. Sie sprang auf und rannte wiederzum Abort. Würgend kauerte sie sich vor den Eimer. Nein! Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein!
Die hübsche weiße Pracht, die vor Wochen noch vom Himmel gefallen war, hatte sich binnen weniger Tage in einen grauen Matsch verwandelt. Nur auf den Dächern waren noch kleine weiße Mützchen zu sehen, die aber auch nach und nach abrutschten und mit einem leisen Platschen zu Boden fielen, wo sie sich mit dem restlichen grauen Schnee und dem immerwährenden Nieselregen vermischten.
Karini stapfte hinter den anderen Mädchen her. Sie lief immer noch barfuß; lieber fror sie sich die Füße ab, anstatt in diesen unbequemen Holzschuhen zu laufen. Beke, Karla und Johanne liefen im Alltag mit diesen klobigen Dingern behände herum. Nur abends, bei Onkel Alvers, tauschten sie die Holzschuhe gegen weiche seidene Schühchen, die für den Gebrauch im Freien aber keineswegs taugten.
Karini war wütend. Am besten, sie erfror gleich mit. Oder sie sprang in eine der übel riechenden Grachten und ertrank, oder sie stürzte sich vor eine Droschke. Wie hatte sie nur so dumm sein können! So vielen Männern beizuliegen, das musste doch irgendwann Folgen haben. Jetzt hatte sie zwar ein prall gefülltes Geldsäckchen, aber auch sie selbst würde in einigen Monaten … sie mochte nicht daran denken. So brauchte sie gar nicht erst nach Surinam zurückzukehren. Wie sollte sie das jemals erklären? Das Geld, das hätte sie noch schönzureden gewusst. Da wäre ihr etwas eingefallen. Aber ein Baby?
»Karini, nun komm.« Beke winkte ihr ungeduldig zu. Karini aber hatte wenig Lust, sich zu eilen. Tante Dela hatte Onkel Alvers sichtlich betroffen und mit einer eindeutigen Geste erklärt, dass bei Karini jetzt Schluss sei mit dem Sonderverdienst. Onkel Alvers hatte diese Neuigkeit gar nicht gefallen. »Aber tanzen kann sie doch noch, oder?«, hatte er hervorgestoßen.
»Ja, tanzen kann sie erst einmal noch. Aber sorg dafür, dass keiner mehr das Mädchen anfasst.«
»Dann muss sie eben ein paarmal öfter tanzen pro Nacht.« Onkel Alvers hatte grimmig mit den Achseln gezuckt und war verschwunden. Also tanzte Karini wieder Nacht für Nacht.
Nach einer Woche nahm Karini ihren Mut zusammen und fragte Tante Dela, was jetzt wohl aus ihr werden würde. »Ich kann doch bald nicht mehr tanzen, eine Schwangere wollen die Männer auf der Bühne doch nicht sehen.« Es gelang ihr nicht, die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
Tante Dela nahm sie tröstend in den Arm. »Nein, Mädchen, es dauert zwar noch etwas, bis man es sieht, aber dann geht das nicht mehr. Hast du denn nichts gespart? Ich meine … wenn du Geld hast, kannst du ja erst mal hierbleiben, je nachdem, um welche Summe es sich handelt, sogar bis das Baby da ist. Wir bringen es dann zu den Beginen in den Begijnhof , dort wird man sich kümmern und du kannst wieder …«
Karini war entsetzt. »Ich soll das Kind fortgeben?«
»Ja, Kindchen, was denkst du denn? Willst du es etwa behalten und mit durchfüttern? Dann kannst du deine Arbeit bei Onkel Alvers vergessen.«
Karini war geschockt. So weit hatte sie noch gar nicht gedacht. Ihr wurde bewusst, dass sie sich in eine Sackgasse begeben hatte. Ihr Geld würde für eine Überfahrt noch nicht reichen, sie würde es ausgeben müssen, um zu überleben, wenn sie nichts mehr dazuverdiente … es schien ein aussichtsloser Kreislauf zu werden. Aber das Kind fortgeben? So, wie die Huren die Kinder bei Misi Erika abgegeben hatten? Nein, das kam nicht infrage. Das Kind konnte schließlich nichts dafür, dass sie so dumm gewesen war …
Karini fasste einen Entschluss. Solange sie noch konnte, würde sie bei Onkel Alvers tanzen. Wenn es dann nicht mehr ging, würde sie bei Tante Dela bleiben, bis das Kind auf der Welt war,auch wenn sie dafür den größten Teil ihres Geldes opfern musste. Und dann … dann würde sie mit dem Kind fortgehen.
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