Die Blume von Surinam
bestürzte Miene in Anbetracht von Inikas Zustand nicht verborgen. Seine Reaktion verriet ihr klar und deutlich, dass es nicht sein Kind war, das Inika unter dem Herzen trug.
Bei der ersten Anhörung vor dem Kolonialgericht in Paramaribo ging es nur um die Anwesenheit der Beteiligten. Julie war bereits am ersten Tag irritiert von dem aufwendigen Vorgehen. Wenn das so weiterging, mussten sie tatsächlich mit einigen Wochen Aufenthalt in der Stadt rechnen. Nachdem ein Gerichtsdiener alle Namen und Daten der Anwesenden aufgenommen hatte, gab der Richter bekannt, damit wäre es fürs Erste getan.
Gerade als Julie und Jean den kleinen Gerichtssaal verlassen wollten, winkte der Gerichtsdiener sie zu sich. Die Gesprächseröffnung war ihm sichtlich unangenehm. »Mevrouw Riard«, begann er schließlich, »ich wollte Sie darüber in Kenntnis setzen, dass wir in den Niederlanden die Suche und die Festsetzung IhresSohnes beantragt haben. Seine Anwesenheit ist für den Prozess von maßgeblicher Bedeutung, auf ihn kann nicht verzichtet werden. Da es dem Gericht wichtig ist, diesen Fall zum Abschluss zu bringen, und sich Ihr Sohn augenscheinlich auch bei Ihnen nicht gemeldet hat, sahen wir uns gezwungen, diesen Schritt zu gehen.«
Julie hatte das Gefühl, der Boden würde unter ihren Füßen wegsacken. Sie klammerte sich an Jeans Arm und zwang sich zu einem kurzen Nicken, dann verließ sie auf wackeligen Beinen den Gerichtssaal. Ein Blick in Jeans blasses, fast starres Gesicht vor der Tür zeigte ihr, dass auch er die Worte des Mannes richtig deutete. »Jean! Sie wollen Henry verhaften!«, rief sie bekümmert, bevor ihre Stimme brach.
Kapitel 26
H enry war kurz davor, aufzugeben. Selbst der anbrechende Frühling konnte seine Stimmung nicht aufhellen. Für das Wunder der wiedererwachenden Natur, das ihm eigentlich fremd war, denn in Surinam verloren die Bäume nie ihre Blätter, hatte er keinen Blick. Unablässig streifte er Tag für Tag durch die Stadt. Einmal hatte er fast gedacht, er hätte Karini gefunden. Von Weitem hatte er eine Frau gesehen, die unverkennbar dunkler Hautfarbe war. Henry war ihr hinterhergeeilt, hatte sie am Arm gepackt und zu sich umgedreht. Er hatte aber in ein fremdes, verblüfftes Gesicht geschaut. »Verzeihung«, hatte er gemurmelt und war schnell weitergegangen. Er bewohnte immer noch das schäbige, kleine Zimmer bei der dicken Frau mit der fleckigen Schürze, deren Namen er immer noch nicht kannte. Sie bekam jede Woche ein paar Gulden von ihm, und nachdem er sich vier kleine Schüsseln gekauft, diese mit Wasser befüllt und an jeweils einem Fuß des Bettes abgestellt hatte, ließen ihn auch die Bettwanzen in Ruhe. Ja, mit Ungeziefer kannte er sich aus, es war in Surinam allgegenwärtig. Stattdessen trieb ihn eine andere Sorge um. Er musste sich sein Geld inzwischen gut einteilen, viel war von seinem Reisebudget nicht mehr übrig. Entweder würde er sich eine Arbeit suchen oder in Wims Kontor um Hilfe bitten müssen. Noch sträubte er sich allerdings, für ihn war es gleichbedeutend mit dem Eingeständnis seines Versagens.
An einem lauen Abend in den ersten Maitagen kam Henry gerade von seiner wöchentlichen Runde aus dem Hafenviertel. Er hatte sich angewöhnt, an jedem Wochentag eine andere Route durch die Stadt zu gehen und dies jeweils zu einer anderen Tageszeit. Bisher aber ohne Erfolg. Vor den Spelunken am Hafen standen windige Männer und warben für ihre Häuser. Das warme Wetter schien die Menschen durstig zu machen, und die frühlingshafte Luft rührte sie zum Feiern. Henry war nicht in Feierlaune. Er drückte sich an die Mauer, welche die Straße von der Gracht trennte, und umging damit diese seiner Meinung nach lästigen Anwerber.
Einer von ihnen, ein kleiner, dicker Mann mit kahlem Kopf und dicker Nase jedoch schien es an diesem Abend besonders ehrgeizig angehen zu wollen. Er lief sogar über die Straße, um sich Henry in den Weg zu stellen. »Mijnheer, Mijnheer, kommen Sie doch auf einen Trunk herein, hier finden Sie die exotischsten Tänzerinnen und die saubersten Mädchen der ganzen Stadt. Zudem ist das Bier am heutigen Tag frisch gezapft und wohlgekühlt.« Der Mann wedelte mit den Armen vor Henrys Nase herum.
Henry seufzte und befühlte die drei Münzen, die er noch in der Jackentasche hatte. Davon musste er sich eigentlich etwas zu essen kaufen. Aber ein Bier … dieses Getränk war durchaus wohlschmeckend. Nicht zu vergleichen mit dem, was man in Surinam so nannte. Henry
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