Die Blume von Surinam
Irgendwo in diesem Land musste es doch eine Möglichkeit geben unterzukommen, ohne das Kind fortgeben zu müssen.
Kapitel 25
W ir müssen in die Stadt.« Jean hielt Julie den Brief vor die Nase. »Das Gericht möchte alle noch einmal anhören.«
»Alle?« Julie seufzte. »Aber wir haben dem Posthalter doch jetzt schon zweimal alles erzählt.« Es war inzwischen Ende April, und das Ganze schien sich unendlich hinzuziehen.
»Uns bleibt keine Wahl: Wenn das Gericht es anordnet, können wir nichts dagegen machen. Sogar Aniga soll mitkommen.« Jean faltete das Blatt Papier zusammen, das am Morgen von einem Boten gebracht worden war. »Und vielleicht ist es dann endlich vorbei. Vielleicht findet man ja heraus, wer Pieter erstochen hat, und wir haben wieder Ruhe.«
Julie nahm Helena auf den Arm, die zuvor in immer schnelleren Kreisen um sie herumgelaufen war. Das Mädchen war nun fast drei Jahre alt und sehr neugierig. Julie musste stetig aufpassen, dass die Kleine nicht davonlief. Sie seufzte. »Dann werden wir uns vermutlich mehrere Wochen in Paramaribo aufhalten müssen.«
Jean nickte. »Wir werden die Plantage schon wieder an die Aufseher übergeben müssen.« Dies bereitetete ihm sichtlich Sorge. Seit die Mühle auf Watervreede lief, mussten alle Arbeiten viel zügiger verrichtet werden, um einen reibungslosen Abtransport der Ernte zu gewährleisten. Daran gewöhnten sich die Arbeiter aber nur zögerlich, und auch die Vorarbeiter mussten hin und wieder aufgefordert werden, die Zeitpläne einzuhalten. Bei längerer Abwesenheit würden deutliche Anweisungen nötig sein, zumal auch Watervreede nur unter der Aufsicht von Vorarbeitern stehenwürde, Martin und Thijs Marwijk würden sicherlich auch zu der Anhörung kommen müssen.
Dann hellte sich Jeans Miene auf. »Sehen wir es doch positiv! Du kannst Erika und Wim besuchen, und Martin wird auch dort sein.« Er nahm ihre Hand. »Und vielleicht … vielleicht kommt Henry ja auch bald wieder«, fügte er leiser hinzu.
Julie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Henry war nun schon drei Monate fort. Manchmal befürchtete sie sogar, er werde überhaupt nicht wiederkommen. Sie hatten nichts von ihm gehört. Keine Nachricht, kein Brief und auch keine Mitteilung von Wim, dass er oder Karini sich im Kontor der Vandenbergs gemeldet hatten. Julie schalt sich selbst, denn allein die Überfahrten dauerten mehrere Wochen, ein Brief konnte eigentlich kaum angekommen sein, aber jeder Tag ohne ihn und ohne die Gewissheit, dass es ihm gut ging, drückten Julie auf der Seele.
Sie drückte seine Hand. »Ach Jean, hoffentlich ist ihnen nichts passiert.«
In seinem Blick lag Zärtlichkeit. »Es geht ihnen sicher gut. Karini geht wahrscheinlich ganz in ihrer Aufgabe als Zofe bei Gesine auf, und Henry genießt das Leben in Europa.« Jeans Gesicht aber sagte Julie, dass er selbst nicht so recht an seine Worte glaubte.
Julie reiste eine Woche später mit Jean, Helena, Bogo und Aniga nach Paramaribo. Erika und Wim nahmen sie dort im Stadthaus sichtlich erfreut in Empfang.
»Habt ihr schon etwas von Henry und Karini gehört?«, fragte Julie ihre Freundin gleich bei der Ankunft.
»Nein, Juliette, es tut mir leid. Wim hat sich vom Hafenmeister eine Liste mit allen Schiffen geben lassen, die in der letzten Woche erwartet wurden, und denen, die noch erwartet werden. Wir waren jedes Mal am Hafen, aber bisher … nichts.«
Julie wandte sich ab. Sie hatte große Hoffnung auf positive Nachrichten gehabt. Sie war den Tränen nahe.
Einen Tag später trafen Thijs Marwijk, Sarina, Martin und Inika in der Stadt ein. Julie war verblüfft, als sie Inikas deutlichen Babybauch bemerkte. »Inika, ich wusste ja gar nicht, dass du ein Kind erwartest!«
»Juliette, ich erkläre dir das später«, antwortete Martin kurz und fasste Inika am Arm. »Wir werden auch nicht im Stadthaus wohnen«, fügte er fast schon unwirsch hinzu.
Martins abweisendes Verhalten versetzte Julie einen Stich. Wie wenig sie doch von seinem Leben auf Watervreede wusste! Seit Pieters Tod hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Selbst die Arbeiter, die regelmäßig das Zuckerrohr nach Watervreede lieferten, hatten ihr auf Nachfrage nicht viel über Martin sagen können. »Dem Masra geht es gut. Der Masra arbeitet hart«, hatten sie lediglich berichtet. Seine Distanziertheit tat ihr weh, und sie hatte keine richtige Erklärung dafür. Aber sie ließ ihn gewähren – welche andere Wahl hatte sie?
Julie blieb auch Bogos
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