Die Blume von Surinam
Versteck in dem kleinen Herbergszimmer bei Tante Dela und fiel todmüde ins Bett. Dann schlief sie bis weit nach Mittag, trank Tante Delas starken Kaffee und lauschte dabei den Erzählungen der anderen Mädchen, bevor sie sich mit Beke, Johanne und Karla wieder auf den Weg zu Onkel Alvers Gastwirtschaft machte. Es gab sogar Momente, in denen sie sich bei Tante Dela und den anderen Mädchen ein bisschen zu Hause fühlte. Das beißende Heimweh, das sie manchmal überfiel, wenn sie allein in ihrem Zimmer aufwachte, versuchte sie zu unterdrücken. Sie konnte nicht zurück nach Surinam, zumindest solange sie nicht das Geld für die Überfahrt gespart hatte. Sie hatte sogar einmal am Tisch laut überlegt, sich eine Anstellung als Dienstmädchen zu suchen, woraufhin Beke gelacht hatte. »Du bist lustig! Schau dich doch mal an: Du siehst aus, als wärest du einmal durch den Kamin gerutscht, du trägst nie Schuhe und … bist jetzt auch noch eine Hure. Glaubst du, irgendeine feine weiße Familie stellt dich an? So?«
Karini war wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte mehrfach überlegt, wo sie noch mehr verdienen und damit schneller die für die Reise erforderliche Summe zusammenbekommen konnte. Außerdem sehnte sie sich, das musste sie sich eingestehen, nach einer Arbeit, bei der sie mehr Respekt vor sich selber haben konnte. Blanken dienen, das konnte sie, und schlechter würde siedort sicher nicht verdienen, also war ihr diese Möglichkeit stets erstrebenswert erschienen. Jetzt aber musste sie Beke schweren Herzens recht geben. Ihr Traum zerplatzte wie eine reife Mango, die auf dem Boden aufschlug. Sie würde in diesem Land keine anständige Anstellung finden. Da war das, was sie jetzt gerade tat, doch das Ertragreichste, auch wenn sie sich tief in ihrem Inneren dafür schämte. Was würde ihre Mutter wohl sagen, wenn sie wüsste, dass sie ihren Körper verkaufte? Oder gar ihr Vater! Der ja aber in Wirklichkeit gar nicht ihr Vater war … Karini schüttelte den Gedanken ab. Sie würden es nie erfahren. Über diesen Teil ihrer Zeit in Amsterdam würde sie Stillschweigen bewahren, wenn sie zurückkam nach Surinam.
Karini schlurfte wie jeden Tag müde und übernächtigt nach zu wenigen Stunden Schlaf in Tante Delas Küche, setzte sich wortlos an den Tisch und nahm ihre Tasse Kaffee in Empfang. Kurz warf sie einen Blick zu dem kleinen Fenster, das auf den dunklen Hinterhof hinausführte. Dicke, weiße Flocken tanzten vom Himmel herab, wie die Samen des Seidenwollbaums, wie ihr Lehrer und auch Masra Henry immer gesagt hatten. Masra Henry! Karinis Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ob er sie wenigstens vermisste? Das flaue Gefühl in ihrem Bauch verstärkte sich. Karini schob den Gedanken an Masra Henry beiseite, doch es war zu spät. Hastig sprang sie auf und rannte durch den Flur zum Abort, um sich dort laut würgend zu übergeben.
Johanne, die gerade aus ihrem Zimmer kam, hatte sie offensichtlich gehört. »Alles in Ordnung? Ist dir nicht gut?«, rief sie durch die geschlossene Tür.
Karini konnte nicht antworten.
Als sie später auf wackeligen Beinen wieder in die Küche kam, blickte sie in die besorgten Gesichter von Johanne, Beke, Karla und Tante Dela. »Kindchen, du hast doch wohl nicht etwa getrunken gestern Nacht! Du weißt, dass ihr das nicht dürft.«
»Nein, ich habe nichts getrunken.« Karini hielt sich den Handrücken vor den Mund. Der Geruch des Kaffees und irgendein anderer Geruch, nach saurer Milch oder gebratenen Eiern, ließ ihren Magen erneut rebellieren. Karini zwang sich, tief durchzuatmen. »Vielleicht hab ich etwas Falsches gegessen«, sagte sie schließlich und ließ sich matt auf ihren Stuhl fallen. Die Mädchen wandten sich wieder ihrem dampfenden Kaffee zu. Karini hingegen schob ihren Becher von sich fort.
Tante Dela schien ihr Leiden ernsthaft zu beunruhigen. »Kindchen, du hast es aber mit den Männern immer so gemacht, wie Jette es dir erklärt hat, oder? Ich meine mit … du weißt schon.«
Karini wusste, wovon Tante Dela sprach. Jette hatte ihr mehrmals und nachdrücklich die Benutzung der kleinen Sicherheit erklärt. Diese bestand aus einem Stück Baumwollstoff, das in Ölen und einer Paste aus Weihrauch getränkt wurde, um Schwangerschaften zu verhindern. Die Frauen führten es ein, bevor sie mit den Männern das Bett teilten.
Karini musste nicht lange überlegen. »Ja, ich habe es immer genau so gemacht, wie Jette gesagt hat.«
»Du hast auch jedes Mal einen frischen genommen?«
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