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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Belago
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Himmels willen ist hier los?«, fluchte Julie leise, überlegte kurz und ging dann mit Helena auf dem Arm in die Richtung, in welche die Kinder verschwunden waren.
    Schon aus der Ferne sah sie, dass die indischen Frauen aus dem Arbeiterdorf in hellem Aufruhr waren. Als sie näher trat, erspähte sie Dany und Henry, die sich schützend im Eingang von Sarinas Hütte aufgebaut hatten. Julie spürte, wie die Unruhe in ihr wuchs.Auch wenn sie nicht verstand, was vor sich ging, so verhieß der Lärm und vor allem Henrys angespannte Miene nichts Gutes. Als Julie die Hütte erreichte, traten die Frauen respektvoll zur Seite.
    »Henry, was ist hier los?«
    Das Gesicht ihres Sohnes war gerötet, und Julie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er Angst hatte.
    »Mutter … Inika sagt … ihre Mutter … das wäre Sitte.«
    »Was ist Sitte? Wo ist Inika?«
    Henry deutete mit dem Kopf in Richtung Hütte.
    Julie trat an ihrem Sohn vorbei in das Innere der Behausung. Dort, in der Mitte des kleinen Wohnraumes, stand Sarina und umarmte ihre verloren geglaubte Tochter. Julie spürte, wie sich Erleichterung in ihr ausbreitete. Sie hatte in den letzten Tagen viel Zeit mit Sarina verbracht, hatte versucht, für sie da zu sein, und auch wenn sie kaum geredet hatten, so wusste sie doch, wie sehr sie unter dem Verschwinden ihrer Tochter und dem Tod ihres Mannes litt. Nun hatte sie immerhin ihre Tochter zurück. Neben ihnen stand Karini, deren Gesicht wie Henrys nicht Erleichterung, sondern Schreck ausdrückte.
    »Inika …«
    »Misi …« Inika löste sich von ihrer Mutter und drehte sich zu Julie um. »Misi, es tut mir leid. Ich hätte nicht …«
    »Ist schon gut. Ich freue mich, dass du wieder da bist. Du wirst sehen, jetzt wird alles gut. Aber was ist hier los, warum ist da draußen so ein Tumult?« Julie versuchte, das Baby auf ihrem Arm beschwichtigend zu wiegen. Helena hatte leise angefangen zu wimmern, auch sie schien die angespannte Situation zu spüren.
    »Misi, das ist so …«, setzte Karini gerade an, als Inika ihr ins Wort fiel.
    »Misi, bei uns ist es Sitte, dass … dass die Frau dem Mann in den Tod folgt. Nur so kann sie sati werden, eine gute Frau .«
    »Was?« Julie traute ihren Ohren nicht.
    »Und da mein Vater schon einige Tage tot ist, drängt das Dorfnun darauf, ihn zu bestatten. Normalerweise werden Tote bei uns innerhalb eines Tages …«
    Julie sah die beiden Frauen entsetzt an. »Das werde ich auf keinen Fall dulden. Sarina! Du willst doch nicht …«
    Sarina zuckte traurig die Achseln.
    Inika aber schüttelte nachdrücklich den Kopf. »In Indien haben es die Engländer schon lange verboten, aber hier … und ich … wenn Baramadir auch tot ist, dann …«
    »Das werde ich nicht zulassen, keinesfalls!« Nie im Leben würde sie erlauben, dass auf ihrer Plantage ein Mensch starb, ob aus religiösen Gründen oder nicht. Sie würde alles tun, was in ihrer Macht stand, um das zu verhindern. Julie überlegte kurz, dann stand ihr Entschluss fest. »Ihr kommt jetzt erst mal mit rüber ins Haus, und wenn Jean von den Feldern zurück ist, werden wir das weitere Vorgehen besprechen.« Mit diesen Worten trat sie vor die Tür, dicht gefolgt von Karini, Sarina und Inika. Helena wimmerte immer noch, und das Geschrei der Frauen vor der Hütte wurde lauter. »Tretet zurück!« Julie bemühte sich um einen strengen Tonfall und umklammerte Helena. In diesem Moment bezweifelte sie, dass ihr liberaler Umgang mit den Arbeitern, die sie jetzt wenig respektvoll anstarrten, richtig gewesen war. Und es war töricht gewesen, das Baby mitzunehmen, aber sie hatte ja nicht ahnen können, dass es hier einen Aufstand geben würde. Schon gar nicht, nachdem ein verschwunden geglaubtes Mädchen wieder aufgetaucht war. Inika und Sarina wurden auf der einen Seite von Karini und Dany, auf der anderen von Henry und Julie flankiert. Die indischen Frauen riefen für Julie unverständliche Dinge, aber am Tonfall und an Inikas und Sarinas Gesichtsausdruck konnte sie ablesen, dass es nicht freundlich gemeint war. Sie wurden regelrecht umkreist, und Julie konnte die Panik, die in ihr aufstieg, nur mit Mühe unterdrücken.
    Julie war nass geschwitzt, als sie schließlich das Dorf verließenund der Pulk der Frauen am Dorfrand zurückblieb. Sie war froh, dass die Männer noch auf den Feldern waren, sonst wären sie vielleicht nicht bis zum Plantagenhaus gekommen.
    Atemlos wandte sie sich an Dany. Das Gesicht des Aufsehers wirkte angespannt.

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