Die Blume von Surinam
»Sorge im Dorf für Ruhe, bis Jean wieder da ist. Und dass mir keiner der Inder in die Nähe des Hauses kommt!«
Dany nickte und eilte davon. Julie schob Sarina, Inika und Karini ins Haus. Dort ließ sie die Frauen in den Salon und versuchte zunächst einmal, Helena zu beruhigen. Das Baby wimmerte auf ihrem Arm, während Henry immer wieder nervös zur Hintertür lief. Er schien zu befürchten, dass ihnen doch jemand gefolgt war.
»Wir bleiben jetzt hier.« Julie wandte sich an ihre indische Arbeiterin. »Mach dir keine Sorgen, wir werden nicht erlauben, dass so etwas auf dem Boden unserer Plantage geschieht.« Aber wirklich beruhigen konnte Julie sie nicht.
Bei Einbruch der Dunkelheit kamen endlich, nach einigen unruhigen Stunden des Wartens, Jean und Martin von den Feldern. Verwundert blickten die beiden auf die kleine Versammlung im Salon. Schon hörte man laute Rufe hinter dem Plantagenhaus. Inika und Sarina klammerten sich angstvoll aneinander.
Bevor Julie Jean eine Erklärung für das Geschehen liefern konnte, wandte dieser sich sichtlich verwundert in Richtung der hinteren Veranda, um zu sehen, was dort vor sich ging. Martin war schneller als er und ihm ein paar Schritte voraus.
»Jean, warte! Es ist kompliziert. Diese Inder... da gibt es eine Sitte … sie wollen, dass Sarina mit dem Leichnam ihres Mannes verbrannt wird.«
»Sie wollen was? « Jean drehte sich ruckartig um. Auch er schien fassungslos.
»Wir müssen das verhindern! Und auch Inika ist in Gefahr, sollte Baramadir …«
Martin tauchte wieder auf.
»Onkel Jean, du solltest mal kommen … hinterm Haus …«
Julie sah Martins angstvollen Blick, allein die Tatsache, dass er ihn Onkel nannte, sprach Bände.
Jean murmelte einen leisen Fluch, bevor er Martin folgte. Julie war hin- und hergerissen. Schließlich bedeutete sie den Frauen im Salon, dort zu warten und ging zu Jean und Martin auf die hintere Veranda. Auf dem Platz davor standen zahlreiche indische Männer und Frauen mit Fackeln.
»Was ist hier los?« Jean stieg vor bis zur Balustrade der Veranda.
Ein Mann trat vor. »Masra, wir wollen die Frau und ihre Tochter. Es ist Zeit für sie, sie müssen ihren Männern folgen. Jetzt ist die Tochter wieder da, jetzt können wir beginnen.«
Jean unterbrach ihn. »Ich werde nicht erlauben, dass ihr eure barbarischen Sitten hier auslebt! Geht zurück in eure Hütten.«
»Masra, Ihr habt nicht das Recht dazu …«
Die Menge rückte näher an die Veranda heran. Julie trat einen ängstlichen Schritt zurück. Ein solches Aufbegehren hatte es auf der Plantage, seit sie und Jean sie übernommen hatten, noch nie gegeben, weder bei den Schwarzen noch bei den Indern.
Jeans Stimme durchschnitt laut das Gezeter der Inder. »Ich sagte: Geht zurück in eure Hütten! Die Frau wird nicht …«
»Wenn die Frau nicht rauskommt, werden wir sie holen!« Der Mann machte, gefolgt von weiteren Männern, ein paar Schritte auf das Haus zu.
Plötzlich fiel ein Schuss. Julie zuckte zusammen. Auch alle anderen schienen vor Schreck zu erstarren.
»Ihr werdet gar nichts! Habt ihr nicht gehört, was der Masra gesagt hat?«
Es war Martin, der von der rechten Seite der Veranda mit der Flinte auf den Rädelsführer zielte.
Die indischen Arbeiter zogen sich nicht zurück, sondern schwenkten wütend ihre Fackeln.
Aufgeschreckt vom Schuss eilten aus dem Dorf nun die schwarzen Aufseher herbei und brachten sich gleich zwischen den Indern und ihrem Masra in Position. Julie sah Jean die Erleichterung an. Die Inder zogen sich murrend zurück.
»Dany, Galib, sorgt dafür, dass die Leute das Dorf heute Nacht nicht mehr verlassen. Joshua und David sollen mit Wache halten«, wies Jean seine Männer an. »Jeder, der versucht … ihr habt alle eure Waffen dabei.« Jean war nun sichtlich wütend. »In die Stadt zurückschicken sollte ich dieses Volk, am besten zurück zu Renzler. Die machen nichts als Ärger. Julie, Martin – kommt mit ins Haus.«
Im Salon stellte Jean sich ans Fenster und Kiri reichte ihm ein großes Glas Dram. Er leerte es in einem Zug, wischte sich mit dem Hemdsärmel über den Mund und starrte einen Moment hinaus, bevor er sich umdrehte. Julie empfand großes Mitleid mit ihm, er wirkte zutiefst erschöpft, und das Geschehene hatte ihn sichtlich erschüttert. Ihr selbst ging es ähnlich, die Situation war äußerst angespannt gewesen und hatte sie alle viel Kraft gekostet. Die Gefahr war zwar für den Moment vorüber, aber Julie zweifelte nicht
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