Die Blume von Surinam
bisschen. Ich bin dort geboren.«
»In der Kolonie? Dann kennen Sie sich dort ja bereits aus.«
»Nun ja, ich bin mit zehn Jahren zu Verwandten in die Niederlande geschickt worden. Meine Eltern führten in Surinam eine Plantage, die sie aber vor vielen Jahren aufgegeben haben. Die Sklavenbefreiung … Sie wissen schon.«
Nein, Wim wusste nicht. Aber er hörte Marwijk gespannt zu.
»Vor einem Jahr starb erst mein Vater, dann kurze Zeit später meine Mutter.« Marwijks Gesicht wurde von einem kurzenSchatten überzogen. Dann leuchteten seine Augen wieder auf. »Mein Vater hatte es mir gar nicht erzählt, aber der Grund der Plantage Watervreede gehört uns immer noch, er hat es wohl nie übers Herz gebracht, das Land zu verkaufen. Ich fand die Unterlagen erst nach seinem Tod und nun will ich sehen, was aus der Plantage geworden ist. In den Niederlanden hielten das alle für einen verrückten Plan«, er lachte auf, fuhr dann aber mit einem nachdenklichen Ton fort, »aber seit ich auf dem Schiff bin … ich glaube, es ist richtig, dass ich fahre.« Thijs Marwijk schien jetzt von einer gewissen Erleichterung beseelt.
»Dann wissen Sie also gar nicht, was Sie in Surinam erwartet?«, fragte Wim nach.
»Nein, ich hab keine Ahnung. Wenn ich Pech habe, ist es ein großes Stück Land mit unheimlich viel Urwald darauf.« Er lachte wieder auf.
»Dann sind Sie ja sozusagen auf Abenteuerreise«, bemerkte Wim.
»Ja, das kann man so sagen. Und Sie? Freuen Sie sich auf Ihre Verwandten? Waren Sie schon einmal in Surinam?«
»Ich habe meine Verwandten lange nicht gesehen … und wir reisen auch zum ersten Mal in die Kolonie.«
»Na, dann sind Sie ja auch auf Abenteuer aus! Sagen Sie doch bitte Thijs zu mir.«
»Wim.« Er reichte Thijs nochmals die Hand. Dieser klopfte ihm schon fast freundschaftlich mit der anderen Hand auf die Schulter.
»Dann, Wim, hoffe ich mal, dass uns die Kolonie wohlgesonnen sein wird.«
Etwas abseits stand ein weiterer Reisender. Er hatte das Gespräch belauscht und war plötzlich hellhörig geworden. Er kannte den Namen Vandenberg nur allzu gut.
Kapitel 4
Z unächst war es ein auffrischender Wind gewesen, dann hatte er sich zu einem Sturm ausgewachsen. Der Wind schien von allen Seiten zu kommen. Zudem trieb er nasse, warme Böen vor sich her, nicht kalte Luft wie in Europa. Das Schiff kletterte über die Wellen, und alles an Bord musste diesem wilden Ritt standhalten.
Wim hatte in der Kabine vorsorglich das Gepäck, so gut es ging, gesichert, trotzdem polterten Schuhe, die beiden Stühle und einige Bücher über den Boden. Gesine lag in ihrer Koje und jammerte leise vor sich hin. Bisher hatte sie dem Seegang überraschend tapfer getrotzt, aber als das Schiff immer ungestümer vom Meer getragen wurde, die weiße Gischt mit wuchtigen Schlägen gegen das kleine Bullauge trommelte und der Horizont nicht mehr zu erkennen war, gab auch Gesine die Contenance auf. Erst wurde sie blass, dann musste sie würgen und letztendlich spucken. Zunächst war sie noch jedes Mal zum Abort zum Ende des Ganges gestürzt. Da dort aber einige andere Passagiere das gleiche Übel plagte, hatte Wim ihr die Waschschüssel gegeben und ihr befohlen, in der Koje zu bleiben.
»Gesine, zier dich nicht so. Bevor du im Gang stürzt oder gar noch Schlimmeres passiert, bleibst du besser hier, das ist am sichersten.«
Wim war auch nicht wohl, aber seine Übelkeit war nicht ganz so schlimm.
Der Sturm hielt an, Stunde um Stunde. In der Nacht war an Schlaf nicht zu denken. Gegen Mitternacht drang durch das Heulen des Windes das Geräusch von berstendem Holz. Wimerschrak und hangelte sich schwankend bis zur Tür, um auf dem Flur nach dem Rechten zu sehen. Dort standen schon einige Männer, die sich an den Wänden abstützten, beisammen. Nervöse Rufe mischten sich unter das Sturmgetöse. Gegenüber ging die Kabinentür auf, und Thijs’ Kopf erschien in der Öffnung. »Wim? Hast du das gehört? Was ist passiert?«
Wim stand breitbeinig und mit ausgestreckten Armen im Türrahmen, um Halt zu finden. »Ich weiß es nicht!«, brüllte er zurück.
»Sollen wir nachsehen?« Thijs deutete auf den Speiseraum und den daran anschließenden Aufgang. »Vielleicht braucht man an Deck Hilfe?«
Wim überlegte kurz und nickte dann.
»Wim, du bleibst hier«, hörte er hinter sich Gesine mit angsterfüllter Stimme aus ihrer Koje rufen.
»Ich bin gleich wieder da! Bleib in der Kabine.« Sonst schrie sie doch auch nicht nach ihm! Aber sie würde
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