Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
uns beide. Als ich gemerkt hab, dass Valentine weggelaufen ist, bin ich los, weil ich sie suchen wollte, hab aber keinem was gesagt.«
»Das war aber ziemlich unvorsichtig, mein Junge. Die Straßen sind gefährlich für kleine Kinder.«
»Ich weiß, aber ich war der Einzige, der sie finden konnte – wie man sieht!«, sagte Nicolas und strahlte übers ganze Gesicht.
»Und warum wolltest du dann nicht wieder nach Hause?«
»Ich wollte schon, aber sie nicht. Man darf sie nicht aufregen oder ihr widersprechen. Jeden Monat um die gleiche Zeit kriegt sie Anfälle, die keiner versteht. Und ich bin der Einzige, der sie trösten kann.«
»Das erklärt aber nicht, warum sie nicht nach Hause will.«
»Ich weiß es auch nicht. Seit einer Weile zeigt sie immer mit dem Finger auf die Straße nach Blois, als wenn sie da jemand treffen will. Dabei kann da ja gar keiner sein, den sie kennt, weil ihre Mama in Tours ist, und mein Papa auch.«
Die beiden Soldaten wandten sich noch einmal an den alten Mann, der kopfschüttelnd vor sich hin brummelte, dass die Leute besser auf ihre Kinder aufpassen sollten.
»Wo genau habt Ihr sie gefunden?«, fragten sie ihn noch einmal.
»Auf der Straße. Der Kleine hat versucht, das Mädchen zu tragen. Die zwei waren ziemlich müde.«
»Vielen Dank, guter Mann. Wir nehmen die beiden jetzt mit und bringen sie nach Hause. Wenn Ihr nach Tours kommt, geht zu ihren Eltern. Bestimmt bekommt Ihr eine Belohnung. Ohne Euch wäre ihnen vielleicht etwas Schlimmes zugestoßen, so allein auf den gefährlichen Straßen.«
Nicolas lächelte den alten Mann dankbar an.
»Ihr müsst zum Haus von Dame Alix Cassex. Ihr könnt aber auch nach dem Weber Mathias aus Lille fragen, das ist mein Papa.«
16.
Im Februar 1513 geschah etwas, was sich für die Italiener als großer Vorteil erweisen sollte: Papst Julius II. starb unerwartet und hinterließ die Tiara Giovanni de’ Medici, dem Sohn von Lorenzo il Magnifico, besser bekannt unter dem Namen Leo X.
Der neue Papst zeigte sich längst nicht so kriegerisch wie sein Vorgänger und war sogar zu weitreichenden Kompromissen bereit, sollten sie zum Frieden führen.
Ohne dass irgendjemand die Tragweite seiner Absichten begriffen hätte, ging Rom auf Venedig zu und verbündete sich plötzlich mit dem König von Frankreich. Ludwig XII. hätte eine brillante Partie machen und sich sehr vorteilhaft positionieren können, sah sich aber zu derart langfristigen Plänen nicht mehr in der Lage. Gesundheitlich erneut sehr angeschlagen, versank er in Trauer um seine treuen Kampfgenossen, die er in zahllosen Schlachten nach und nach verloren hatte.
Und in dieser schwierigen Situation musste sich Charles d’Alençon also auf den Weg nach Mailand machen.
Bald darauf hatte Marguerite alle Vorbereitungen für ihre Reise nach Blois und Amboise getroffen. Ihr gesamtes Personal war bereit: Jean-Baptiste, Philibert, Blanche, ihre Betschwester Madame de Breuille, die ihr nicht von der Seite wich, und die
kleine Mathilde, die ihre Kammerzofe Catherine, wenn überhaupt, nur Blanche oder Marguerite anvertrauen wollte. Mit einem bedauernden Blick musterte die junge Herzogin ihr spärliches Gepäck. Das langweilige Leben in der Normandie erforderte keine besondere Garderobe; höchstens zur Jagd oder für Ausritte benötigte man die entsprechende Kleidung.
Gleich nach ihrer Ankunft im Val de Loire wollte Marguerite Schneider, Schuhmacher, Hutmacher und Klöpplerinnen kommen lassen, um ihre, wie sie fand, äußerst dürftige Garderobe aufzufrischen. Die junge Frau verfügte über entsprechende Mittel und hatte durchaus nicht die Absicht zu sparen.
In einem Anfall von Großmut hatte ihr Louis XII. nämlich die Einkünfte aus der Salzsteuer übertragen, eine unerschöpfliche Geldquelle, die ihr zeitlebens viele Scherereien ersparte.
Marguerite dachte nicht daran, sich diesen finanziellen Vorteil entgehen zu lassen und nutzte ihn weidlich aus. Allerdings war sie klug genug, das Geld nicht aus dem Fenster zu werfen und bemühte sich, einen Großteil dieser beträchtlichen Einkünfte gewinnbringend anzulegen.
An diesem Morgen wirkte die junge Frau nervös. Weil sich das Bataillon ihres Mannes nicht wie geplant in Lyon, sondern in Amboise gesammelt hatte, war Charles d’Alençon erst später aufgebrochen und Marguerites Abreise hatte sich verzögert.
Nun befürchtete Marguerite, der Brief, den sie sofort an ihren Bruder geschrieben und in dem sie ihr Kommen angekündigt hatte, könnte
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