Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
vielleicht erst gemeinsam mit oder nach ihr eintreffen.
Aus diesem Grund trieb Marguerite ihr Personal zu mehr Eile an als sonst, und der Konvoi aus zehn Wagen für ihren gesamten Hausstand von Alençon samt Marstall und Hunden setzte sich an einem kalten und trüben Wintermorgen in Bewegung.
Weil man auf ausdrücklichen Wunsch der jungen Herrin ziemlich zügig fuhr, holperten die Kutschen ein wenig über die Straße nach Mans. Zwanzig Meilen am Tag und keine größeren Zwischenfälle vorausgesetzt sollte die Reise nicht länger als drei Tage dauern. Die kleine Mathilde war bestens versorgt und würde die Fahrt gut überstehen.
Wegen der seit Tagen anhaltenden schneidenden Kälte waren alle warm angezogen. Marguerite kuschelte sich fröstelnd zwischen Blanche und Catherine, die Mathilde auf dem Schoß hatte, und malte sich die Befürchtungen ihrer Mutter aus.
Unterwegs wurde es immer noch kälter, ein eisiger Regen setzte ein, der durch alle Ritzen der unzureichend abgedichteten Wagen drang, und der Winterwind verwandelte Hände und Füße in Eiszapfen. Zwischendurch nahm sie die Zügel selbst in die Hand, doch wenn es draußen allzu ungemütlich wurde, stieg Marguerite vom Pferd und setzte sich wieder zu Blanche und Catherine in den Wagen, wo sie sich die Zeit mit Gesprächen und lustigen Spielen vertrieben.
Als sie sich dem Wald von Mans näherten, hatte der eisige Wind Marguerite wieder in ihre Kutsche getrieben. Mit Blanche spielte sie gerade eine Partie Corbillon, ein Spiel, das Marguerite besonders gern mochte. Wie bei allen Wortspielen war auch hier Geistesgegenwart gefragt, weil man dem Spielgegner schlagfertig mit einem Reim zu einem bestimmten Thema antworten musste. Besonders unterhaltsam war das Spiel, wenn man es zu mehreren spielte oder wenn eine Damenmannschaft gegen eine Herrenmannschaft antrat.
»Der Wind ist wirklich eisig«, meinte Blanche und rieb sich die kalten Hände an ihrem warmen, samtgefütterten Umhang. Sie sah aus dem Fenster und stellte fest, dass sich wieder eine
Eisdecke auf der Straße gebildet hatte. Mit einem Blick auf Catherine und Mathilde, die beide schliefen, meinte sie: »Wenn das Wetter nicht besser wird, können wir morgen früh wahrscheinlich nicht weiterfahren.«
»Bitte, Blanche, was ist mit unserem Spiel?«, sagte Marguerite und versuchte sich zu konzentrieren. »Bei ›Verärgerung‹ fallen mir ganz andere Wörter ein als ›Geltung‹. Seit wann haltet Ihr so viel von diesem Wort, das ich sofort mit ›Stimmung‹ oder ›Verbitterung‹ beantworten möchte?«
Sie beugte sich zu Blanche und sah ebenfalls aus dem Fenster.
»Es schneit ja!«, rief sie plötzlich. »Seht doch, Blanche, Schneeflöckchen so klein wie Mückenflügel!«
»Lieber Himmel«, meinte Blanche, »Eure Mutter wird sich große Sorgen machen, wenn wir morgen früh nicht weiterkönnen.«
»Glaubt Ihr wirklich, das Wetter wird noch schlechter?«
»Ich fürchte ja, Marguerite. Es ist schon ganz dunkel, obwohl es noch längst nicht Abend ist.«
Eine Weile sahen sie den Schneeflocken zu, die immer dichter fielen. Marguerite hauchte das Fenster an, das sofort beschlug.
»Jean-Baptiste kennt den Weg«, meinte sie und wischte mit der Hand ein Guckloch auf die Scheibe. »So schnell lässt er sich von Kälte und Wind nicht beeindrucken.«
»Wenn es aber weiter so kalt bleibt, wird es sehr glatt auf den Straßen.«
Die Bäume hüllten sich in fahles Weiß; nur an wenigen Stellen schimmerte noch das Braun der Rinde durch. Das Schneetreiben wurde immer dichter und tauchte die Landschaft in ein
milchiges Weiß, in dem die Wege gefährlich mit den Banketten verschmolzen.
Die Wagen fuhren längst nicht mehr so schnell, als sie zu dem Weg kamen, der durch den tiefen Wald von Mans führt.
»Möchtet Ihr Karten spielen oder lieber eine Partie Schach?«, fragte Blanche ohne große Begeisterung. Doch ehe Marguerite antworten konnte, geriet ihre Kutsche plötzlich ins Schleudern, und die beiden Frauen fielen unsanft von ihren Sitzen. Die Pferde wieherten aufgeregt, Catherine wachte auf, und Mathilde begann zu weinen.
Blanche richtete sich mühsam wieder auf und rieb sich die schmerzende Schulter. Marguerite hatte sich nicht so wehgetan, weil sie auf ihrer Zofe gelandet war.
»Der Wagen ist von der Straße gerutscht«, stellte Marguerite fest, nachdem sie sich wieder auf ihren Platz gesetzt hatte. »Tut Eure Schulter sehr weh, Blanche?«
Durch den Türspalt konnten sie Jean-Baptiste sehen. Er hatte sich
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