Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
bückte sich.
»Seht nur, was ich gefunden habe! Der Schuh gehört Valentine.«
Alix brach in Tränen aus. Sie nahm den kleinen roten Schuh von ihrer Tochter und presste ihn an ihre Brust.
»Sie ist hier irgendwo. Ich spüre es.«
Dann begann sie am ganzen Körper zu zittern, und Mathias musste sie in die Arme nehmen, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte.
»Du darfst auf keinen Fall die Nerven verlieren, Alix. Das können wir uns jetzt nicht leisten.«
Sie nickte gehorsam und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
»Wir müssen weitersuchen, bis wir jedes einzelne Blatt umgedreht haben«, spornte Mathias seine Begleiter an.
»Wenn es sein muss, schlafe ich hier«, sagte Alix. »Jedenfalls gehe ich hier nicht weg, ehe ich sie gefunden habe.«
Da musste sie an Nicolas denken und sagte: »Du kannst ruhig woanders nach Nicolas suchen, Mathias, aber ich bleibe hier.«
Doch keiner wollte sich von der Stelle wegbewegen, an der sie den Schuh des Mädchens gefunden hatten. Immer wieder riefen sie nach Valentine und Nicolas. Das Echo gab ihre Stimmen wieder, aber kein Kind antwortete.
Irgendwann blieb ihnen nichts anderes übrig, als nach Hause zu reiten. Doch auch nachdem sie am nächsten Morgen noch einmal bei Tageslicht alles ganz genau abgesucht hatten, fanden sie keine Spur von den beiden Kindern. Mit blutendem Herzen musste Alix erst einmal aufgeben. Mathias schien sich mehr Sorgen um Valentine als um Nicolas zu machen. Er wusste, dass sein Sohn, auch wenn er sich verlaufen haben sollte, irgendwo Unterschlupf suchen und auf Hilfe warten würde – wenn er überhaupt Hilfe benötigte. Mathias hatte das Gefühl, Nicolas suchte noch
immer nach der kleinen Valentine und wollte nicht ohne sie nach Hause kommen.
Den ganzen Tag lang suchten die Polizisten zu Pferde die Straße nach Amboise ab. An der Stelle, wo sich die Straße nach Blois an der Loire entlang mit einem Weg kreuzt, der durch dichten Wald an den Cher führt, wollten sie gerade umkehren, als ihnen ein alter Mann mit seinem Karren begegnete.
»Habt Ihr vielleicht ein kleines Mädchen gesehen, guter Mann?«, fragte einer der Polizisten ohne Umschweife. »Sie ist vier Jahre alt und von zu Hause weggelaufen.«
»Die Kinder hier in der Gegend sind zur Zeit scheint’s sehr unternehmungslustig!«, meinte der Alte.
»Was soll das heißen?«, fragte ein Polizist und kam näher.
Mit seiner Peitsche deutete der Mann auf zwei schlafende Kinder in seinem Wagen.
»Das soll heißen, dass ich zwei von der Sorte am Hals hab’ und sie gern bald zu Hause abliefern würde, wenn ich nur wüsste wo.«
»Ihr wisst nicht, wo sie wohnen?«
»Eben nicht! Kaum wollte der Ältere sagen, wo er herkommt, da hat die Kleine schon wie am Spieß gebrüllt.«
»Das kann nicht das Mädchen sein, das wir suchen«, erklärte einer der Soldaten kopfschüttelnd. »Sein Vater hat nichts von einem anderen Gör gesagt.«
»Wie alt ist denn der Junge?«, fragte er den alten Mann dann aber doch.
»Na ja, vielleicht sechs oder acht Jahre alt.«
»Und das Mädchen?«
»Drei oder vier, würd’ ich sagen. Was weiß denn ich!«
»Jetzt lass ihn doch«, mischte sich ein anderer Soldat ein. »Das ist nicht die Kleine, nach der wir suchen.«
Aber der andere war sich noch nicht sicher.
»Wo habt Ihr sie denn gefunden?«
»Also erst hab ich den Jungen gesehen. Er wollte in die eine Richtung, aber die Kleine heulte und schrie und wollte in die andere Richtung, da wo es nach Blois geht.«
»Wie wär’s, wenn wir sie einfach mal selbst fragen?«, schlug der eine Soldat vor.
»Meinetwegen«, brummte der andere nur.
»He, ihr Knirpse, aufwachen!«
Der kleine Junge räkelte sich und rieb sich die Augen.
»Bringt Ihr uns nach Hause?«, wollte er wissen, als er erkannt hatte, dass die beiden Männer Polizisten waren. Dann legte er den Finger auf den Mund und flüsterte: »Aber wir dürfen sie nicht aufwecken und ihr nicht sagen, dass wir nach Hause gehen.«
»Wie heißt du denn, mein Junge?«
»Ich bin Nicolas, und das ist Valentine.«
»Valentine! Dann ist sie ja doch das Mädchen, das wir suchen sollen. Was machst du denn hier mit ihr?«
»Ich hab’ sie gefunden!«, erklärte Nicolas stolz. »Ich hab mir gedacht, Papa und Lilis verlaufen sich bestimmt und kommen ohne sie heim.«
Die beiden Männer starrten den selbstbewussten kleinen Kerl bewundernd an, und Nicolas erzählte weiter: »Wir leben nämlich zusammen. Sie hat eine Mama, ich hab einen Papa. Aber wir teilen
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