Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
»Habt Ihr das auch gehört?«
Die Pferde wurden richtig unruhig, stiegen und schlugen aus. Stallknechte und Diener hatten alle Mühe, sie zu beruhigen. Und wie auf ein geheimes Kommando hin kümmerten sich die Männer nicht mehr um den feststeckenden Wagen, der immer tiefer im Schnee versank.
»Das sind Wölfe!«, rief Catherine und erbleichte vor Angst unter dem makellosen Weiß, das der Schnee auf ihr Gesicht gezaubert hatte.
»Verdammter Mist!«, fluchte Jean-Baptiste. »Dann sollten wir zusehen, dass wir hier wegkommen.«
Das ferne Heulen hallte gespenstisch durch die weite Schneelandschaft und schien immer näher zu kommen.
»Wir lassen meine Kutsche hier und fahren weiter«, entschied Marguerite. »Mir scheint, die Wölfe sind nicht mehr weit.«
Da gab es dann auch keine lange Diskussion, denn vor kaum etwas hatten Reisende im Winter mehr Angst als vor hungrigen Wölfen. Prunelle wurde aus Marguerites Kutsche geholt, und die Damen zwängten sich in den Wagen von Madame de Breuille, in dem es wegen der Enge bald angenehm warm wurde.
Der Tross kam nur mühsam vorwärts, und die Kutscher bemühten sich, die Wagen in der Mitte der verschneiten Straße zu halten. Nun brauchten sie einen ganzen langen Tag für eine Strecke, die sie bei besserem Wetter in wenigen Stunden zurückgelegt hätten. Bei der ersten Herberge machten sie Halt für die Nacht.
Es war ein kleines Gasthaus. Philibert führte die Pferde in den engen, einfachen Stall, in dem sie aber immerhin genug Heu und Stroh bekamen. Weil es keine Remise gab, ließ Jean-Baptiste die Wagen im Hof stehen. Dort waren sie im Weg, und die Duchesse d’Alençon musste erst ein Machtwort sprechen, damit sie bis zum nächsten Morgen bleiben durften.
In dem kleinen Gastraum standen nur wenige Tische.
»Lieber Gott, wie eng es hier ist!«, rief Blanche erschrocken. »Wie sollen wir denn hier unsere Leute alle unterbringen?«
»Seid unbesorgt, Blanche. Ihr werdet sehen, Philibert und Jean-Baptiste finden für jedes Problem eine Lösung.«
Nachdem sie sich derart zuversichtlich geäußert hatte, sagte sie an Catherine gewandt:
»Ich glaube, die kleine Mathilde muss zu Bett. Sie scheint mir sehr müde zu sein.«
Weiter sollte sie mit ihren guten Ratschlägen nicht kommen, weil Madame de Breuille, ihre gestrenge Betschwester, einem bescheiden gekleideten jungen Mann mit sehr ansprechendem Äußeren Platz machte.
Er sah nicht aus wie ein Stallknecht, obwohl ein paar Strohhalme an seinen Hosen darauf hindeuteten, dass er aus dem Stall kommen musste, wo er vermutlich geschlafen hatte.
»Darf ich Euch meine Hilfe anbieten, Madame?«, sagte er mit einer tiefen Verbeugung.
Zur gleichen Zeit erschien der Gastwirt, und Marguerites erstaunter Blick wanderte von dem höflichen jungen Mann zu dem rotgesichtigen, rundlichen Wirt, der Marguerite mit geübtem Blick taxierte und erst einmal abwartete.
Endlich hatte Marguerite den jungen Mann erkannt.
»Clément Marot!«, rief sie erfreut, »dass ich Euch nicht gleich erkannt habe!«
»Zu Euren Diensten, Madame«, erwiderte der Dichter. »Ich schlief auf meinem Lager aus frischem Stroh, als Wagen in den Hof rumpelten und ich, vom Lärm geweckt, erfuhr, dass sie zum Hause Alençon gehörten.«
Marot war so kühn, Marguerites Hände zu nehmen, woraufhin Blanche ihrem Zögling sofort unruhige Blicke zuwarf. Marguerite ahnte, dass sie sich schon wieder Sorgen machte.
»Der heutige Tag nimmt doch noch ein gutes Ende, Blanche!«, sagte sie vergnügt, »weil er mir einen Dichter präsentiert, den ich vor einiger Zeit bei einem meiner Ausritte kennengelernt habe.«
Dennoch entzog sie ihm ihre Hände, die er vielleicht ein wenig zu fest gedrückt hatte.
»Darf ich vorstellen, Blanche, Monsieur Clément Marot, Sohn von Jean Marot, dem Hofdichter des französischen Königs.«
Marguerite lachte fröhlich und wandte sich an den noch immer geduldig wartenden Wirt.
»Wir nehmen ein Souper, ehe wir zu Bett gehen«, erklärte sie dem kleinen Mann, der sofort zu seinen Kesseln eilte. »Monsieur Marot ist unser Gast.«
»Reist Ihr allein?«, wollte der jetzt wissen.
»Leider ja. Mein Mann und sein Schildknappe mussten nach Italien und sich den Truppen des Königs anschließen. Mein
Bruder wollte mir entgegenkommen, hat sich aber nun um einige Tage verspätet. Bliebe nur noch mein Kanzler, der jedoch in einer wichtigen Mission für meine Mutter bereits nach Amboise gereist ist.«
Mit einer Handbewegung forderte sie den jungen Mann
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