Die Blut-Loge
auf dem Parkplatz warfen den Schatten seiner hohen Gestalt mehrfach auf den Asphalt, bis diese mit der Nacht verschmolz.
* * *
Die Atmosphäre im EXIT war weit weniger familiär als die im Heartbeat. Der weitläufige Nachtclub besaß mehrere Räumlichkeiten, eine riesige Tanzfläche mit versenkbarer Bühne und eine Galerie für die VIPs. Massige Türsteher sorgten dafür, dass nur geladenes und handverlesenes Publikum die Nobeldiskothek betrat. Jedes Wochenende gab es auf der Hauptbühne eine Live-Vorstellung, bei der natürlich in erster Linie Künstler des hauseigenen Plattenlabels auftraten. Damit war die Rock- und Elektronikszene gut vertreten, aber ab und zu lud man auch auswärtige Künstler zu Auftritten ein. Für die kommenden drei Monate würden die Midnight Fairies das Publikum mit ihrer abwechslungsreichen Show unterhalten. Die Nervosität in der Truppe vor der Premiere war kaum zum Aushalten. Die Einzigen, die sich aus den kleinen Querelen bei der Probe heraushielten, waren Jerome und Leon. Die beiden standen etwas abseits, während die übrigen ihre Plätze für die Schluss-Szene ausrichteten.
„Laura wird also nachkommen?“, fragte Jerome gespielt belanglos.
Leon nickte. „Sie hat zwar keine vollen drei Monate Urlaub bekommen, aber acht Wochen hat sie herausschlagen können. Ist das nicht toll? Ich freue mich riesig. Wir haben extra eine kleine Ferienwohnung ein paar Straßen weiter angemietet.“ Leon strahlte über das ganze Gesicht. Am liebsten hätte er Jerome umarmt. Die beiden Menschen, die er am meisten liebte, waren bald in seiner Nähe, auch wenn er nur von einem wiedergeliebt wurde. Jerome zeigte sich nach wie vor von einer eher freundschaftlichen Seite.
In diesem Augenblick schreckte Jerome auf. Er spürte eine dunkle Macht, die sich näherte. Wenige Sekunden später öffnete sich die Eingangstür und gab die Gestalt eines großen, dunkelhaarigen Mannes frei, der in einen langen, weich fließenden Mantel gekleidet war. Darunter trug er ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck einer Metalband und eine schwarze Lederhose. Er hätte Jeromes älterer Bruder sein können. Leicht gewelltes, schwarzes Haar, das bis auf die breiten Schultern reichte, ebenso schwarze Augen, deren Schärfe nichts entging und ein bartloses, markantes Gesicht. Ruben Stark! Der attraktive Endzwanziger war als Model und Musikproduzent tätig und bewarb vorwiegend die eigenen Kosmetikprodukte, die sein Vater in den USA produzierte. Er war als Ladykiller verschrien, aber das tat seiner Beliebtheit bei der Damenwelt keinen Abbruch. Jetzt sprang er mit einem eleganten Satz auf die Bühne. Von den Drag Queens wusste nur Jerome, dass Ruben Stark ein Vampir war. Ein Artgenosse, allerdings mit wesentlich mehr Macht und Status ausgestattet, als er selbst jemals erringen konnte.
Auch Ruben verspürte die Anwesenheit eines anderen, allerdings gewandelten Blutsaugers. Dieser junge Mann da war ein Siegertyp und Ruben Stark reizte es, aus Siegern Verlierer zu machen. Er wandte sich also direkt an Jerome, bevor er den Rest der Truppe begutachtete. „Willkommen, mein Name ist Ruben Stark und du bist sicher Jerome Summers. Dein Ruf eilt dir voraus“, sagte der Clubbesitzer nur und reichte dem jungen Vampir die Hand, die sich genauso kühl anfühlte wie die seine. Dieses Willkommen hatte eine doppelte Bedeutung, die in Jerome ein mulmiges Gefühl weckte.
Nachdem Ruben sich auch den anderen Mitgliedern der Midnight Fairies vorgestellt und einen Begrüßungsdrink spendierte hatte, ergab sich wenig später erneut ein kurzes Gespräch zwischen den beiden Untoten.
„Du hast eine besondere Gabe“, bemerkte Ruben. Wusste er etwa von Jeromes Geheimnis? Der ältere Vampir hatte die Zweifel in Jeromes Gedanken aufgefangen und nickte. „Ich weiß mehr von dir, als du ahnst“, bestätigte er die Vermutung. „Du hast die Gabe des Gestaltwandelns zu einer unglaublichen Perfektion gebracht. Deshalb will ich mir eure Show auch einmal live anschauen.“
Jerome erschrak. Wusste Ruben etwa auch von …? Der Sohn des schwerreichen Gabriel Stark nickte erneut und lachte leise. „Oh ja, ich weiß auch, was du brauchst und selbst dein kleiner Fehler in Hamburg ist mir nicht entgangen. Wir werden uns darum kümmern. Zugegeben, ich war neugierig auf dich.“
Jerome seufzte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein Mitwisser. Aber Ruben verstand es, seine Bedenken zu zerstreuen. „Keine Sorge, von jetzt an stehst du unter dem Schutz der
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