Die Blut-Loge
Loge. Wir werden auch für deine Bedürfnisse sorgen, so dass du nicht mehr auf die Suche gehen musst. Das hier“, er fischte einen Gegenstand aus seiner Tasche, „ist der Schlüssel zu einem angemessenen Haus in Berlin-Charlottenburg. Es wird dir gefallen. Mein Fahrer bringt dich nach der Probe hin. Die anderen habe ich in unseren Künstlerapartments untergebracht. Nur dieser Leon wollte eine eigene Wohnung haben, um mit seiner Schwester zusammen sein zu können.“
Jerome nahm den Schlüssel. „Danke. Aber was verlangst du dafür?“
Ruben lächelte jovial. „Nichts. Nur eine gute Show.“
Sollte er dem Sohn des Logenführers glauben? Jerome Summers wandte sich ab, um wieder zu den anderen zu gehen.
Die Villa in Berlin-Charlottenburg war ein Traum im Jugendstildesign. Komplett renoviert, ausgestattet mit mehreren komfortablen Schlaf- und Badezimmern hätte sie Platz für die gesamte Truppe geboten. Aber nur er – Jerome Summers – würde in den kommenden Monaten darin wohnen. Das würde den Neidfaktor bei seinen Kollegen noch erhöhen! Doch das kümmerte ihn jetzt nicht, die Truppe brauchte ihn schließlich. Auch in punkto Versorgung hatte Ruben Stark Wort gehalten. Der Kühlschrank war voll mit Tetrapaks, die eine kostbare Flüssigkeit enthielten – reines Blut. Jerome war immer noch nicht klar, was dieser Stark von ihm wollte. Allerdings stand jetzt für ihn fest, dass die Loge der Sangue Ombra keine Legende war! Clarissa di Viano hatte ihm damals erzählt, dass die geborenen Vampire die Gewandelten als zweitrangig ansahen. Er hatte diese Gunst also nur seiner besonderen Fähigkeit zu verdanken!
Die Premiere im EXIT war ein voller Erfolg. Den Auftakt machte eine von Starks Newcomerbands, dann folgte die fast zweistündige Show der Midnight Fairies. Jerome präsentierte die junge Cher mit einigen ihrer Erfolgstitel und lief wieder einmal den Kollegen den Rang ab. Er sah nicht nur so aus wie die Künstlerin, nein, er konnte auch so singen. Das bewies er in jeder Rolle, in die er schlüpfte. Er war der einzige Künstler, der ohne Vollplayback auftrat! Aber niemand – außer Ruben Stark – wusste um sein Geheimnis. Das Geheimnis eines neugeborenen Schmetterlings.
Der Clubinhaber hatte der Show von der Galerie aus beigewohnt und klatschte anerkennend in die Hände. Dieser Summers gefiel ihm, war für den mächtigen Vampir der Loge aber nicht mehr als ein Hofnarr, der ihn eine gewisse Zeit amüsieren würde. In diesem Punkt kam er ganz nach seinem Vater, für den die Welt ein Marionettentheater war, an dessen Fäden er zog. Und es war auch sein Vater, der ein weit tieferes Interesse an diesem jungen Travestiten hatte als er selbst.
* * *
Einen Monat später traf Laura Henning in Berlin ein. Sie freute sich, ihren Bruder Leon wieder zu treffen und gewissermaßen auch Jerome Summers, der Mann, der sie in einer Flut verwirrender Gefühle zurückgelassen hatte. Nicht einmal ein Anruf oder eine SMS hatte sie in der Zwischenzeit von ihm erhalten und sie selbst war viel zu stolz, um sich bei ihm zu melden.
Natürlich schleppte ihr Bruder sie gleich am Abend ihrer Ankunft mit ins EXIT, wo die Truppe von donnerstags bis sonntags auftrat. Die Edeldiskothek beeindruckte sie. Leon hatte Ruben gebeten, seiner Schwester freien Eintritt zu gewähren, und dieser ließ sich nicht lumpen. Laura durfte sogar ungehindert in die VIP-Lounge, die oben auf der Galerie hinter einer Absperrung angelegt war. Nach der Show trafen sich alle noch auf einen Drink in der Lounge und feierten Lauras Ankunft. Auch Ruben Stark war anwesend und betrachtete die hübsche Frau voller Bewunderung. Laura trug einen schwarzen, ärmellosen Samtoverall, der ihre perfekte Figur und den makellosen Teint noch betonte. Die dunklen Haare waren hochgesteckt. Swarowski-Kristalle blitzten an ihren Ohren. Sie war wirklich eine zauberhafte Erscheinung an diesem Abend. Ruben ergriff bei der Begrüßung ihre Hand und deutete einen Handkuss an.
„Willkommen, meine Liebe“, sagte er dabei leise. „Sie sind also Leons Schwester und Jeromes Schwarm. Sagen Sie, bevorzugen Sie eigentlich eher männliche oder weibliche Gesellschaft?“ Seine Stimme klang dabei irgendwie zynisch. Noch bevor Laura auf diese unerwartete Frage antworten konnte, stellte sich Jerome an ihre Seite.
„Sie entschuldigen uns doch“, meinte er zu Stark und zog sie von dem mächtigen Vampir weg. Rubens missbilligenden Blick ignorierte er. Den ganzen Abend ließ er sie
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