Die Blut-Loge
Sohn würde es auf jeden Fall reichen. Das wusste auch Ruben und war deshalb völlig unbesorgt. Auch wenn er sich nicht immer gut mit seinem Vater verstand, in solchen Dingen waren sich die beiden einig. Blut war dicker als Wasser. Das Sprichwort galt nicht nur für die menschliche Rasse.
„Was willst du mit dem Mädchen anfangen?“, erkundigte Gabriel sich jetzt.
„Ich brauche sie noch, bis Leon seinen Zweck erfüllt hat. Dann sehen wir weiter. Aber ich dachte, dein Interesse gilt nur den hübschen Laborratten hier“, damit deutete Ruben auf die Schwester, die gerade die Geräte am Krankenbett kontrollierte.
„Nicht nur“, bemerkte sein Vater, kam dann aber wieder zum Wesentlichen. „Vielleicht hättest du diese Laura nicht wandeln sollen. Dann wäre sie jetzt gefügiger“, meinte sein Vater daraufhin.
„Keine Sorge, sie hält still, solange sie ihren Bruder in Gefahr weiß“, überzeugte ihn Ruben.
Sein Vater lachte kurz und trocken auf. „Typisch für dich, du hast wieder alle Figuren in der Hand.“
Jetzt musste auch Ruben lachen. „Rat mal, von wem ich diese Spielregeln gelernt habe.“
Gabriel klopfte seinen Sohn, der zwar gleich groß aber wesentlich schlanker war, verständnisvoll auf die Schulter. „Im Grunde sollte ich stolz auf dich sein“, sagte er laut. Im Stillen dachte er noch Bis du mir eines Tages zu gefährlich wirst. Aber diesen Gedanken schirmte er vor seinem Sohn ab.
Hätte Laura noch weinen können, so wäre sie bestimmt in Tränen ausgebrochen angesichts ihres Bruders, den sie hinter dem Spiegel auf dem Krankenbett erblickte. Er war inzwischen bei Bewusstsein, doch sein Körper befand sich immer noch in einem Lähmungszustand. Tropfen für Tropfen lief das kostbare Blut aus dem jungen Körper. Über Nacht wurde die Transfusion abgestellt, damit der Körper sich regenerieren konnte. Natürlich erhielt Leon auch die entsprechende Nahrung, um ihn so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Die Frage war nur, wer schneller war, die Regenerationsfähigkeit seines Körpers oder der Tod. Diesen Kreislauf konnte man einige Wochen aufrecht erhalten, bis die Forscher in der Lage sein würden, ausreichende Mengen des Wandlungsserums für die Mitglieder der Sangue Ombra herzustellen. Ruben Stark hatte ihr gezeigt, was mit ihrem Bruder geschah und sie einen Augenblick in diesem Nebenraum allein gelassen. Er hielt Laura in dem Glauben, dass Leon wieder gesund und unbeschadet entlassen werden würde, sobald er seinen Zweck erfüllt hatte.
Doch sein Geschöpf traute ihm nicht. Er hatte sie mehr als einmal getäuscht. Zuletzt, als er als Jerome aufgetaucht und ihr eine heiße Liebesnacht versprochen hatte. Sie waren bis zu ihrem Wohnwagen in der Caravansiedlung am Stadtrand von Las Vegas gekommen. Wie hatte sie nur so dumm sein können! Voller Leidenschaft hatte sie sich dem vermeidlichen Travestiekünstler hingegeben, der sich mitten im Liebesakt in sein wahres Ich verwandelte. Sie hatte schreien wollen, als sie plötzlich Rubens Gesicht über sich erblickte, doch der hielt ihr den Mund zu und vollendete sein Werk. Danach zwang er Laura, sich wieder anzuziehen und mit ihm nach L.A. zu kommen, sonst würde sie ihren Bruder nicht mehr lebend wiedersehen.
Erst hier in der Forschungsklinik wurde ihr klar, dass Ruben sie gegeneinander ausgespielt hatte. Und sie hasste ihn immer mehr für alles, was er ihnen angetan hatte, obwohl er mit der Transformation ihres Bruders nun gar nichts zu tun hatte. Der Sohn des Logenführers genoss selbst diesen Hass, besonders wenn sie ihm ausgeliefert war wie bei ihrer letzten gemeinsamen Nacht. Er fürchtete nichts und niemanden. Laura schüttelte sich, wenn sie daran dachte. Jetzt aber musste sie an Wichtigeres denken. Wie konnte sie Leon befreien? Sie versuchte, ihn mental zu kontaktieren und rief seinen Namen in ihren Gedanken. Er reagierte und wandte seinen Kopf dem Spiegel zu. Mehr konnte er nicht bewegen.
Laura? Haben sie dich etwa auch gefangen?
Mehr oder weniger, gab sie traurig zur Antwort.
Hör zu, klang seine Stimme in ihrem Kopf jetzt entschlossen. Die werden mich hier niemals lebend rauslassen. Auch Jerome ist hier gestorben, das weiß ich jetzt. Sie sind hinter unseren Fähigkeiten her, um damit ihren Einfluss zu erhöhen und die Menschen zu täuschen. Das habe ich in ihren Gedanken gelesen, als sie dachten, ich sei noch ohnmächtig. Das Serum, das sie herstellen wollen, könnte sogar Regierungen stürzen. Dieser Stark ist ein Teufel.
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