Die Blut-Loge
auf, bevor er sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zuwandte. Sein Sohn Ruben war in sein Büro gekommen. Er nickte kurz und ging dann zu der kleinen Bar, die in die Schrankwand mit den Akten integriert war. Die edlen Karaffen enthielten alten Whiskey und Portwein, in einem kleinen Kühlschrank daneben wurde das kostbare Blut zum Mischen frisch gehalten. Gabriel warf einen missbilligenden Blick auf seinen Sohn, der sich ein Glas einschenkte.
„Dieser Versicherungskram macht mich wahnsinnig. Eigentlich solltest du den ganzen Quatsch hier ausfüllen“, schimpfte er.
Ruben zuckte die Schultern und kippte seinen Drink hinunter. Dann wandte er sich seinem Vater zu.
„Tut mir leid, das mit dem Labor. Aber vielleicht haben wir da einen Fehler gemacht“, sagte er. Seine Stimme klang etwas heiser.
„Die Starks machen keine Fehler!“, lautete die lapidare Antwort.
Ruben näherte sich dem Schreibtisch seines Vaters. „Und wenn doch?“, murmelte er. Spielerisch nahm er den silbernen Brieföffner mit dem Ledergriff in die Hand, ging damit zum Fenster und starrte eine Zeitlang hinaus auf die hektischen Straßen unter ihm.
Sein Vater hatte nur kurz aufgeblickt, gab aber keine Antwort. Ruben schien auch keine Antwort erwartet zu haben.
„Gibt es einen besonderen Grund für deinen frühen Besuch, oder bist du einfach nur neugierig?“, fragte Gabriel dann plötzlich.
Ruben drehte sich um. Sein Vater war noch immer über die Papiere gebeugt.
„Den gibt es tatsächlich, Vater.“ Da war etwas Drohendes in seiner Stimme, besonders bei dem Wort „Vater“. Gabriel horchte auf, aber da war es bereits zu spät. Sein Sohn hatte ihm den Brieföffner von hinten in den Leib gerammt, knapp am Herzen vorbei. Der mächtige Vampir sackte zusammen. Ruben rannte aus dem Raum, durchquerte das leere Vorzimmer und lief in Richtung Aufzug, der gerade auf dieser Etage anhielt. Die Türen des Lifts öffneten sich automatisch und Ruben stand seinem Ebenbild gegenüber. Entsetzen und Verblüffung spiegelte sich in beiden Gesichtern. Mit sicherem Instinkt erfasste der echte Ruben Lauras Präsenz, die bereits den Gang entlang zum Notausgang mit den Treppen rannte. Jetzt kam Gabriels Sekretärin schreiend aus dem Büro gelaufen und rief nach einem Arzt.
Ohne sich um seinen Vater zu kümmern, rannte Ruben hinter seinem flüchtenden Doppelgänger her. Beide rasten die Treppensteigen hinunter, Etage um Etage in einem mörderischen Tempo. Sie erreichten die Tiefgarage mit den parkenden Wagen der Angestellten. Ruben streckte die Hand aus und erwischte Laura am Kragen des Sakkos. Er warf sie zu Boden und ein heftiger Ringkampf entbrannte zwischen ihnen. Bis Laura mit Schrecken spürte, wie die Wirkung des Mittels nachließ. Mit einer der Serumproben hatte sie ihren Auftritt hier geübt, die zweite war für den versuchten Mord an Gabriel draufgegangen. Es gab also keine Reserven mehr! Komisch, in diesem Augenblick fühlte sie sich irgendwie von Jerome im Stich gelassen.
Ihre Körperkräfte ließen spürbar nach, ihre Haare wuchsen in enormer Geschwindigkeit zu der üblichen Länge heran, und der athletische Männerkörper wandelte sich unter Rubens würgenden Händen in die zierliche Figur von Laura Henning, die in übergroßen Klamotten hilflos vor ihm lag und verzweifelt versuchte, seine Hände von ihrem Hals zu entfernen.
In Rubens Augen war ein glutroter Schimmer, der in der schwach beleuchteten Tiefgarage an die Augen eines Raubtieres erinnerte. Gnadenlos!
„Ich hasse dich“, keuchte sie, während sie ihre Fingernägel in seine Handgelenke grub. „Du Monster. Hoffentlich habe ich wenigstens deinen Vater erwischt.“
„Und wenn schon, damit hättest du mich nur vorzeitig zum Erben der Logenführerschaft gemacht. Du bist zwar zu schön zum Sterben, aber du hattest deine Chance, mein Engel. Jetzt ist Schluss mit unserem Spielchen“, zischte er mit zusammengepressten Zähnen. Dann presste er zum Abschied seinen Mund auf ihre Lippen.
Laura versuchte angewidert, ihren Kopf abzuwenden. Aber da tat es einen Ruck, und das Geräusch zersplitternder Knochen hallte in der Tiefgarage wider. Ruben hatte Lauras zartes Genick gebrochen. Zärtlich strich er ihr zum Abschied über die Wange.
Der Sohn des Logenführers stand auf, klopfte sich den Schmutz vom Anzug und ging - ohne einen Blick zurückzuwerfen - zum Aufzug, mit dem er wieder in die Büroetage seines Vaters hinauffuhr.
„Ihr Vater wollte keinen Arzt. Es scheint ihm auch
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