Die Blut-Loge
nicht. Lass mich raten.“
Dominik blickte von seinem Schminktisch hoch und musterte den gerade hereingekommenen Star der Truppe. „Na, Liza hatten wir doch letztes Wochenende schon“, zischte er eifersüchtig. Der dunkelhäutige Dominik war die Verkörperung von Tina Turner in ihren besten Jahren. Aber auch Whitney Houston konnte er gut imitieren.
„Quatsch“, funkte der knabenhaft schlanke Leon dazwischen, der gerade in sein silberfarbenes Paillettenkostüm geschlüpft war, „sieh doch mal genauer hin, das ist unverkennbar die große Alexandra, wie sie leibt und lebt.“
„Na ja, wenn du meinst“, murmelte Dominik nur und widmete sich wieder seinem Make-up. Der schmale Garderobenraum, an dessen Wänden links und rechts jeweils vier Schminkplätze eingerichtet waren, roch nach süßlichen Parfüms, Puder und verschiedenen Deodorants. Kostüme, Perücken, Hüte und jede Menge Accessoires hingen an Kleiderständern oder lagen auf den Tischen vor den großen, beleuchteten Spiegeln. Das einzige kleine Fenster in diesem Raum stand auf der Kippe, doch die Luftzirkulation war eher mäßig. Zumindest durfte hier nicht geraucht werden.
Jerome war, wie gewohnt, immer schon in Kostüm und Maske als er zu der Truppe stieß. Und wenn er nach den Shows noch mit den Jungs ausging, traf er wiederum später ein. Niemand hatte ihn je vor einem Schminkspiegel sitzen gesehen! Aber jeder von ihnen hatte ja so seine Marotten. Auch, dass Jerome immer als Letzter kam, kurz bevor die Show losging, war inzwischen Normalität. Außerdem reiste er niemals zusammen mit den anderen im Bus, war aber trotzdem jedesmal pünktlich zur Stelle.
Seine Spezialität war es, jedes Wochenende in einer anderen Verkleidung aufzutreten, im Gegensatz zu den meisten Kollegen, die sich auf die Verkörperung einer oder maximal zwei Berühmtheiten konzentrierten. Jeromes umfangreiches Repertoire zusammen mit seinem umwerfenden Aussehen und seiner blühenden Jugend sorgte natürlich für einen gewissen Neid. Aber letztendlich profitierte die ganze Truppe davon und das wussten auch seine Kollegen, zu denen noch Gino, der kleine Italiener, und dessen Freund Mario gehörten, die beide schon seit geraumer Zeit ein Paar waren. Seitdem Jerome bei ihnen war, gab es meist ein ausverkauftes Haus, und das freute nicht nur den Veranstalter.
Leon ging in seinem engen Paillettenkleid zu dem jungen Mann hin und begrüßte ihn mit einem angedeuteten Kuss links und rechts auf die Wange.
„Schön, dass du da bist. Mach dir nichts draus, unser Nicki hat, wie immer, schlechte Laune.“ Er schaute den attraktiven Kollegen vor ihm bewundernd an.
„Sag mal, wie kriegst du das bloß hin. Bei dir sieht immer alles so unglaublich perfekt aus. Du musst mir unbedingt mal einige deiner Schminktricks verraten.“
Jerome lächelte geschmeichelt. Warum sollte ein Vampir nicht auch ein klein wenig eitel sein?
Er war erst vor einem Jahr zu den Midnight Fairies gestoßen und hatte sich mittlerweile an die kleinen Eifersüchteleien unter den Drag Queens gewöhnt. Dabei vermied er allerdings allzu nahe persönliche Kontakte. Er wollte nicht, dass einer von ihnen mehr als nötig über ihn erfuhr.
Leon hatte sich von Anfang an auf seine Seite geschlagen. Ein hübscher Bengel mit schulterlangen blonden Locken, schlank, aber durchtrainiert. Seine unverhohlene Bewunderung für den dunkelhaarigen Jerome war schnell in ernste Gefühle umgeschlagen, aber Leon war in dem ganzen letzten Jahr nicht einen Schritt näher an Jerome herangekommen. Entweder war dieser nicht schwul, was bei ihrem Job selten vorkam, oder er hatte ein Geheimnis, das er mit keinem seiner Kollegen teilen wollte. Seine Unnahbarkeit reizte den blonden Leon, der Marilyn Monroe auf der Bühne verkörperte, nur noch mehr. Auffällig oft hielt er sich in Jeromes Nähe auf, berührte wie zufällig seine glatt rasierte Haut, wenn er an ihm vorbei ging. Aber Jerome gab ihm seinerseits niemals einen Anlass zu denken, dass da mehr zwischen ihnen sein könnte als Freundschaft und Kollegialität, obwohl der junge Vampir die Vertrautheit zwischen ihnen auch genoss. Er war nicht nur ein Dieb, sondern auch ein Spieler. Jerome spielte mit den Gefühlen der Menschen, ohne jemals selbst einen Einsatz bringen zu müssen. Er schätzte Leon durchaus als Kollegen, doch in seiner Situation konnte er niemandem vertrauen. Und das enttäuschte Leon zutiefst. Trotzdem hüpfte sein Herz jedes Mal vor Freude, wenn Jerome den Raum betrat
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