Die Blut-Loge
immer sie sich für die Zukunft vorgenommen haben, vergessen Sie´s. Sie können sich glücklich schätzen, wenn sie gewandelt werden.“
„Dann war das doch kein Scherz?“, murmelte Evi. Valerie schüttelte den Kopf.
„Nein, er Ihnen schon die Wahrheit gesagt. Das tut er immer kurz vor dem Finale. Er macht Jede süchtig nach ihm, bevor er tötet. Soviel ich weiß, hat er auch noch nie eine seiner Liebchen gewandelt. Bislang war er aber sehr wählerisch, was die Mutter seiner Nachkommenschaft anging. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass wir nur eine Chance im Laufe von Jahrhunderten haben,“ Verachtung und eine Spur von Neid lag in Valeries Stimme.
„Ich will sofort zu einem Arzt“, stöhnte Evi.
„Wie gesagt, Dr. Hadley wird sich gleich um Sie kümmern, und zwar bis zur Geburt.“
„Nein, niemals, hören Sie, ich will dieses Kind nicht!“ Evi fiel erschöpft in die Kissen zurück.
Ihre Hand tastete unter der Bettdecke über ihren leicht gewölbten Bauch. Es war noch nichts zu spüren, aber eine unglaubliche Panik ergriff von ihr Besitz.
„Ich will eine Abtreibung“, sagte sie.
Valerie schüttelte den Kopf. „Dafür ist es eh zu spät. Finden Sie sich damit ab, dass Sie Ruben einen Sohn schenken werden. Sonst enden Sie wie die übrigen Weibchen in der Klapsmühle“, antwortete die unterkühlte Rothaarige. „Und essen Sie etwas, oder wir müssen Sie weiterhin künstlich ernähren.“
Das klang weniger wie eine Aufforderung, eher wie eine Drohung. Damit wandte sie sich zur Tür.
Kurz zuvor drehte sich Valerie noch einmal um.
„Ach ja, und machen Sie keine Dummheiten, Evi. Erstens würden wir Sie sonst wieder in ein Koma versetzen und zweitens würde Ruben Sie fürchterlich dafür strafen. Besser, Sie genießen Ihren Aufenthalt hier. Sie dürfen sich in diesem Flügel frei bewegen, und wir haben eine sehr umfangreiche Bibliothek am Ende des Ganges.“
Damit verschwand die seltsame Besucherin und hinterließ eine Menge Fragen in Evis Kopf. Doch der war fürchterlich schwer. Sie wollte nur schlafen. Und hoffentlich bald aus diesem Alptraum aufwachen.
„Seit über einem halben Jahr keine Spur von Evi“, sagte Thilo Weinbach zu Ralf Schneider, dem neuen Dezernenten des Kommissariats. Dieser kannte die Geschichte von dem spurlosen Verschwinden der jungen Beamtin, die allein und fast ausschließlich für ihren Job gelebt hatte. Weder ihre Mutter im Altersheim, ihre beste Freundin Martina, noch ihr Ex-Freund hatten sie seit Monaten gesehen.
Thilo war verzweifelt. Der Letzte, der sie lebend gesehen hatte, war dieser Ruben Stark, und der hatte ein Alibi von seiner hübschen Sekretärin, die Stein und Bein darauf schwor, dass Evi das Büro lebend und in bester Laune verlassen hatte. Natürlich war es verdächtig, dass gerade die Sekretärin wenige Wochen später gekündigt und Deutschland verlassen hatte. Aber der junge Kommissar konnte ihr nichts beweisen und stand mit seinen Ermittlungen ganz alleine da. Sein neuer Boss hatte Evi längst abgeschrieben. Und ihr gemeinsamer alter Chef war vor einiger Zeit in Rente gegangen.
Es war ihm also nichts anderes übrig geblieben, als auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Er verbrachte einige Wochenenden in der Diskothek und stellte Fragen – ohne Ergebnisse. Er zeigte ein Foto von Evi herum. Niemand hatte sie gesehen. In seiner Freizeit hockte er in seinem alten Audi vor dem Penthouse von Ruben Stark und beobachtete. Auch das ohne Erfolg. Evi Fischer blieb spurlos verschwunden. Irgendwann gab er seine Suche schließlich auf.
Dr. Hadley war ein recht angenehmer grauhaariger Zeitgenosse mit lehrerhaftem Aussehen, der die ehemalige Kommissarin an einen Waldkauz erinnerte. Auch er gehörte zu den „Leftovers“ und war bemüht, Evi den Aufenthalt im Schloss so angenehm wie möglich zu machen. Viel Zeit war inzwischen vergangen. Herbst und Winter waren ins Land gezogen und der Frühling rückte ebenso näher wie die Geburt. Mit väterlicher Fürsorge kümmerte sich der Doktor um Evis Gesundheit. Die Beiden verbrachten oft und gerne Zeit in der Bibliothek mit der dunklen Holztäfelung und mannshohen Bücherregalen. Ein großer Lesetisch mit mehreren Stühlen nahm die Mitte des Raumes ein. Aber ihr Lieblingsplatz war der Sessel vor dem offenen Kamin.
Evi erfuhr so einiges von dem Doktor über die Vampirkaste und die „Sangue Ombra“. Das übertraf die schlimmsten, menschlichen Verschwörungstheorien, die ihr bislang zu Ohren gekommen
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