Die Blut-Loge
waren.
Natürlich versuchte sie zu Beginn ihres Aufenthaltes hier immer wieder, einen Fluchtweg zu finden. Sie hatte festgestellt, dass ihr viele Türen verschlossen blieben. Außerdem gab es in dem ganzen Schloss kein Telefon. Sie hörte auch nie einen Wagen, außer dem des Lebensmittellieferanten, der einmal monatlich vorbei schaute. Wenn sie aus dem Fenstern sah, erblickte sie nur endlose Weite, grasende Schafe und grüne Hügel oder – im Winter – eine unberührte Schneelandschaft, die von einzelnen Tierspuren durchzogen wurde.
Sie war eine Gefangene, und Valerie war so etwas wie ihre Wächterin. Sie begleitete Evi auf Spaziergängen in die Umgebung und sorgte dafür, dass sie tagsüber niemals allein war. Die ehemalige Polizistin lernte dabei, ihre Gedanken unter Kontrolle zu halten, denn die telepathischen Kräfte der Vampire waren ihr nicht entgangen, und dieser Valerie traute sie nicht über den Weg.
Ruben hatte Evi schon seit Wochen nicht mehr gesehen. Er hatte sich in der Zwischenzeit nur ein paar Mal blicken lassen, um sich nach ihrem Zustand zu erkundigen und wohlwollend ihre Rundungen betrachtet, die mittlerweile nicht mehr zu übersehen waren. Sie hatten kaum ein Wort miteinander gewechselt, obwohl er sie ausgesucht höflich behandelte.
„Warum gerade ich?“, hatte sie ihn einmal gefragt.
„Du bist etwas Besonderes, Engelchen, gesund, intelligent und nicht geldgierig. Etwas Besseres habe ich in all den Jahrzehnten nicht finden können“, hatte seine Antwort gelautet.
An diesem Abend spielten der Doktor und seine ungewollte Patientin wieder einmal Karten in der Kaminecke der Bibliothek.
„Wissen Sie, wenn sie sich an ihre Gesetze halten, sind die Jungs gar nicht mal so übel“, sagte William Hadley gerade. Mit „Jungs“ meinte er natürlich die Vampire.
Evi schnaubte missbilligend „Wie kann man diese Monster eigentlich umbringen?“ erkundigte sie sich geradeheraus.
Dr. Hadley schaute kurz auf. „Sie müssten sie pfählen oder köpfen. Die alten Methoden sind immer noch die besten. Mit Sonnenlicht erschrecken Sie nur die Gewandelten und selbst die kann man damit nicht mehr umbringen“, erwiderte der Doktor, während er nachdenklich sein Blatt betrachtete.
„Na, toll, ich bin froh, wenn ich mich überhaupt aus diesem Sessel erheben kann“, schimpfte seine Patientin und deutete auf ihren Bauch.
Dr. Hadley lächelte amüsiert. „Das wird sich in ein bis zwei Wochen erledigt haben, denke ich.“
„Und was dann?“ Verzweiflung schwang in Evis Stimme.
Mit der Schwangerschaft hatte sie sich abfinden müssen, aber wie sollte ihre Zukunft und die ihres Sohnes aussehen? Und würde sie das Kind dieses Monsters überhaupt lieben können? Darüber zermarterte sie sich den Kopf.
„Bitten Sie Ruben doch, Sie zu wandeln. Als Mutter seines Kindes haben Sie ein Anrecht darauf, auch wenn sein Vater Gabriel dagegen sein wird“, schlug Hadley vor.
„Niemals!“, fuhr Evi auf.
„Sehen Sie, mein Kind, die Menschen sind nun mal eine unterprivilegierte Rasse und eigentlich nichts anderes als zivilisierte Höhlenmenschen. Bevor Sie Ruben kennen gelernt haben, waren sie bestimmt nicht glücklich, sonst wären Sie nicht auf ihn hereingefallen. Ihr Sohn wird automatisch zur Elite der Loge gehören und damit zu der Rasse, die eines Tages diesen Planeten beherrschen wird. Als Gewandelte können Sie immerhin in seiner Nähe bleiben und leben nicht schlecht.“
„Natürlich nicht“, spottete Evi, „aber dafür ausschließlich nachts!“
„Das ist nicht erwiesen! Außerdem: Man muss auch Opfer bringen, wenn man etwas erreichen will“, kam es banal zurück. „Ich bin sicher, die menschliche Gesellschaft und ihre sogenannten Freunde haben Sie längst abgeschrieben“, fuhr der Doktor fort. „Was also haben Sie zu verlieren, wenn Sie sich ganz Ihrer neuen „Familie“ anschließen? Wenn Sie von der Loge versorgt werden, brauchen Sie nicht einmal selbst zu jagen!“ Evi schauderte bei dem Gedanken.
Doch der Doktor war noch nicht fertig: „Bedenken Sie auch, dass Sie ewig jung und schön sein werden. Vampire sind das beste Anti-Aging!“, versuchte er, zu scherzen.
Evi war überhaupt nicht nach Witzen zumute. Sie zögerte, diesen Schritt zu wagen und gänzlich mit ihrem menschlichen Dasein zu brechen.
„Eine Frage müssen Sie mir noch ehrlich beantworten, Doktor. Wenn die unsterblich sind, wieso zeugen sie überhaupt Nachkommen? Ruben wird niemals den Platz seines Vaters
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