Die Blut-Prinzessin
zum Waschbecken, ließ das Wasser laufen und beugte sich so weit vor, dass die Flüssigkeit in ihren Mund rinnen konnte. Sie trank und schluckte. Erst nach einer gewissen Zeit richtete sie sich wieder auf. Mit langsamen Schritten ging sie auf den Tisch zu. In ihrem Gesicht bewegte sich nichts, und sie blieb stehen, bevor sie noch den Stuhl erreicht hatte.
Sie überlegte eine Weile, trat danach ans Fenster, schaute hinaus in die triste Umgebung, die einen grauweißen Schleier aus Schnee bekommen hatte, und zog die Schultern zusammen wie jemand, der unter einem heftigen Kälteschock friert.
Danach drehte sie sich wieder um. Diesmal hatte sie ein anderes Ziel. In ihrem Gesicht mit der grau gewordenen Flaut bewegte sich nichts. Ihre Lippen lagen zusammen, als wären sie festgeleimt. Die Augen glichen dunklen Kugeln, die sich nicht bewegten.
Vor dem großen Schrank blieb sie stehen. Und erst jetzt änderte sich ihre Mimik. Plötzlich zeigte sie, dass sie auch lächeln konnte, und dieses Lächeln zog die Lippen in die Breite. In ihre Augen trat ein lebhafter Ausdruck, sie fingen an zu leuchten, und mit der Zungenspitze befeuchtete sie die trockenen Lippen.
Der Schrank war nicht nur hoch, sondern auch recht breit. Um ihn ganz zu öffnen, musste man zwei Türhälften aufziehen, die durch ein Schloss gesichert waren.
Es war kein Schlüssel zu sehen. Den bewahrte Eva in ihrer rechten Kleidtasche auf. Sie schob die Hand hinein, und der Schlüssel verschwand wenige Sekunden später im Schloss. Er wurde zwei Mal gedreht, dann waren die Türen zu öffnen.
Zuerst zog Eva die linke Tür auf, dann die rechte. Die Dunkelheit innerhalb des Möbels verschwand. Graue Helligkeit breitete sich aus und ließ erkennen, was dort hing.
Alte Kleidungsstücke, die mal bis zum Schrankboden reichten und mal nicht. Im Schrank standen noch kleine Kartons und ein Korb, in dem sich Geschirr befand.
Eva bückte sich.
Sie räumte einige Kleidungsstücke zusammen und pfiff leise durch die Zähne. Genau dieser Laut war das Zeichen für die Person, die sich auf dem Schrankboden geduckt und dort ihr Versteck gefunden hatte. Jetzt kroch sie nach vorn, der Öffnung entgegen. Zuerst erschien das Gesicht, ein graues lebloses Etwas mit einer breiten Nase und einem kleinen Mund. Es folgten die knochigen Schultern, und wenig später war die gesamte Gestalt zu sehen.
Eine dünne junge Frau mit längeren Haaren.
»Jetzt kannst du kommen...«
Die Gestalt kroch aus dem Schrank hervor. Eva ging sicherheitshalber zurück. Sie beobachtete die jüngere Frau mit einem Strahlen in den Augen. Sie wusste Bescheid, und dieses Wissen flüsterte sie auch vor sich hin.
»Du bist meine Tochter. Du bist aber auch eine Auserwählte, und niemand hat dich gesehen. Ich habe dich nicht verraten. Ich habe die Schläge und die Schmerzen für dich ertragen, und ich möchte jetzt, dass du deinen Weg gehst.«
Die Tochter gab keine Antwort. Aber sie wusste sehr gut, was sie zu tun hatte. Sie verließ den Schrank und richtete sich auf. Jetzt war zu sehen, dass sie ihre Mutter fast um eine halbe Kopfeslänge überragte, doch im Gegensatz zu ihr drang nicht ein Atemstoß aus ihrem Mund. Sie musste nicht atmen. Ansonsten lief bei ihr alles völlig normal ab, obwohl sie kein Mensch war.
Die Unperson trug eine Hose und als Oberteil eine dunkelrote Bluse, die offen stand, sodass ihre kleinen Brüste zu sehen waren. Ihre Füße steckten in Leinenschuhen.
Eva, die vor ihrer Tochter stand, schaute sie mit einem Blick an, als wollte sie die jüngere Person anbeten. Auf den Lippen hatte sich das starre Lächeln eingegraben, aber die eigentlich noch junge Haut sah sehr alt aus, als stünde sie kurz vor der Verwesung.
»Ich weiß um die Göttin. Ich weiß auch, was mir Großes widerfahren ist. Und ich bin froh, dass du zu ihr kommen darfst, denn nur sie verwaltet das Blut der alten Götter. Es gibt nicht nur ihr Kraft, sondern auch dir, und so soll es auch bis zum Ende der Zeiten bleiben.« Eva drehte sich zur Seite, ging auf die Tür zu und öffnete sie. »Und nun geh zu ihr. Sie wartet auf dich. Niemand sollte sich dir in den Weg stellen, denn du bist stark, sehr stark...«
Die Tochter tat, was ihr die Mutter sagte. Ohne ein Wort zu verlieren, setzte sie sich mit steifen Schritten in Bewegung und verließ die Wohnung...
***
»Wie heißt du?«
Die ältere Frau schaute hoch.
»Ja, verdammt, wie heißt du?«
»Mona.«
Amos Durban nicke. »Ja, das ist gut. Ich weiß immer gern, mit
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