Die Blut-Prinzessin
ebenfalls in diesem Wohnblock zu finden war. Nur die letzte Verschwundene hatte in einem anderen Haus gelebt.
Als wir auf den Flur hinaustraten, waren die Schläger nicht mehr zu sehen, und auch von ihrem Boss sahen wir keine Spur. Ich hoffte, dass sie genug hatten und in ihnen nicht irgendwelche Rachegelüste hochkochten, denn einen Kampf nach zwei Seiten konnten wir uns nicht erlauben.
Noch mal zwei Etagen höher, dann hatten wir unser Ziel erreicht. Sehr wohl war uns nicht dabei. Wir hatten unseren Kollegen in der Wohnung zurückgelassen, obwohl sich dort eine Wiedergängerin aufhielt. Aber jemand musste auf die Mutter achten.
Wir waren beide davon überzeugt, dass wir Nuba, die Blut-Prinzessin, hier irgendwo in der Nähe finden würden. Mir gingen die Keller nicht aus dem Kopf, die auch noch auf unserer Liste standen. Möglicherweise mussten wir Kollegen alarmieren, um sie zu durchsuchen.
Abermals erlebten wir eine ungewöhnliche Stille in diesem kasernenartigen Bau. Die Treppen waren leer, die Flure ebenfalls. Man konnte den Eindruck haben, dass sich die Menschen in den Wohnungen verborgen hielten und sich nicht trauten, herauszukommen, weil sie von irgendwelchen Gefahren wussten, die in der Nähe lauerten.
Amos Durban hatte uns gut informiert. In der letzten Etage gab es wieder einen dieser langen Flure, und die Tür der Wohnung lag nur einige Meter von der Treppe entfernt auf der linken Seite.
Es war die fünfte in der Reihe. Auch hier gab es kein Namensschild, das darauf hingewiesen hätte, wer hier lebte, was irgendwelche Ermittlungen nicht eben erleichterte.
Vor der Tür blieben wir stehen, beobachtet von einem kleinen Mädchen mit halblangen Zöpfen und Kulleraugen. Die Kleine hatte schräg gegenüber eine Tür geöffnet und schaute durch den Spalt, bis sie heftig von ihrer Mutter zurückgezogen wurde.
Auch das deutete darauf hin, dass die Menschen Angst hatten, und ich hoffte, irgendwann mal den Ring des Schweigens durchbrechen zu können.
Wir gingen vor wie üblich. Ein kurzes Klopfen. Das Ohr an die Tür gelegt.
Nichts war zu hören.
Dass niemand da war, wollten wir nicht glauben. Noch gab es keinen Grund für uns, die Tür mit Gewalt zu öffnen. Womöglich war sie nicht abgeschlossen, und Suko versuchte es.
Tatsächlich, sie ließ sich ohne weiteres öffnen!
Mit schnellen Schritten überquerten wir die Schwelle – und blieben wie vom Blitz getroffen stehen!
Denn was wir sahen, das wirkte so unnatürlich normal.
Eine dunkelhäutige Frau saß auf einem Stuhl, der an einem Tisch stand. Irgendwie glich die Wohnung derjenigen, aus der wir gekommen waren, und auch die Frau sah kaum anders aus. Nur trug diese hier ein grünes, verwaschen wirkendes Kleid.
Sie saß steif, die Hände in den Schoß gelegt, und erst beim zweiten Hinsehen fiel uns die Stirnwunde auf, aus der Blut gesickert war, das schon eine Kruste erhalten hatte.
Trotzdem schrillten in unseren Köpfen die Alarmsirenen. Wir huschten zur Seite, aber es wäre trotzdem zu spät gewesen, wenn jemand uns aufgelauert hätte. Das war jedoch nicht der Fall, und wir atmeten beide auf, bevor ich die Tür schloss.
Suko war bereits auf die zweite zugegangen. Er öffnete sie und brauchte diesmal seine Taschenleuchte nicht einzusetzen, denn durch ein schmales Fenster drang genügend Licht.
Ich atmete auf, aber nicht lange, denn ich brauchte nur einen Blick auf die Frau zu werfen, um zu wissen, dass mit ihr nicht alles in Ordnung war. Eine solche Verletzung wie die, die die Frau an der Stirn hatte, holte man sich nicht einfach so. Sie deutete auf Fremdeinwirkung hin.
Sie blickte uns an. Genau das sah ich wieder als Überraschung an, denn der Blick war leer. Sie machte den Eindruck eines Menschen, dem alles egal war und den nichts mehr erschüttern konnte. Nicht mal das Blut hatte sie aus dem Gesicht gewischt.
»Alles leer«, meldete Suko.
»Umso besser.«
Da die Frau saß und wir standen, mussten wir ihr Vorkommen wie eine Drohkulisse, doch auch jetzt zeigte sie keine Reaktion. Das musste sich ändern. Sie war eine Zeugin. Man hatte sich mit ihr »beschäftigt« und ich wollte wissen, wer es getan hatte. Zuvor jedoch mussten wir ihr die Angst nehmen.
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sprach ich die Frau an.
Sie schwieg.
»Können Sie lesen?«
Auch jetzt erhielt ich keine Antwort, aber ich sah, dass sie die Stirn etwas runzelte und so tat, als müsste sie über etwas nachdenken.
Die Frage hatte ich nicht ohne Hintergedanken
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