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Die blutende Statue

Die blutende Statue

Titel: Die blutende Statue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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nachgebildeten Säulen führten, welche dem Gebäude ein stolzes Aussehen verliehen. Ein Pförtner in Uniform empfing sie in dem prachtvollen Haus und schloss das schwere Bronzeportal hinter ihr. Der Bankier überbrückte das Warten im Auto damit, dass er sich eine Zigarre anzündete. Er dachte über die möglichen Folgen dieses Besuchs nach. Das Patrizierhaus gehörte niemand Geringerem als dem Industriemilliardär Andrew Carnegie, dem Eisenmagnat, der einen großen Teil seines Vermögens — was allgemein bekannt war — allen möglichen Sozialeinrichtungen spendete. Mrs Fenwick, die Dame im Pelz, Hätschelkind der vornehmen Gesellschaft von Cleveland, sollte Gerüchten nach die Tochter des Milliardärs sein. Nachdem sie jahrelang keinen Kontakt zu Carnegie gehabt hatte, wollte sie das jetzt ändern. Zweifellos sprang da für einen cleveren Bankier wie ihn, Fitzgerald O’Connor, ein lukratives Geschäft heraus.
    Nach zwanzig Minuten kam die Dame im Pelz wieder aus der Villa von Mister Carnegie heraus. Sie strahlte und hielt einen großen, braunen Umschlag in der Hand. Der Chauffeur öffnete die Wagentür und sie stieg ein. Der Bankier musterte sie fragend und sie gab ihm die gewünschten Auskünfte.
    »Er verhielt sich vorbildlich, war etwas gerührt, zeigte es aber nicht. Das ist unser schottisches Blut, Sie verstehen. Wir haben über meine Mutter geredet, die er nie vergessen hat. Es war ein einmaliger Augenblick. Ich hätte Sie gern mit ihm bekannt gemacht, doch er wollte das Wiedersehen nicht durch die Anwesenheit eines Fremden gestört wissen, auch wenn dieser Fremde noch so sympathisch sei. Aber das ist nur aufgeschoben, bei meinem nächsten Besuch...«
    Während der Chauffeur den Motor anließ, schwenkte Mrs Fenwick, immer noch sehr redselig, den braunen Umschlag und sagte:
    »Um all die Jahre, in denen er sich nicht um mich gekümmert hat, wieder gutzumachen, hat er seinen Tresor geöffnet und mir — bewahren Sie die Fassung — Wertpapiere im Wert von fünf Millionen Dollar übergeben... Er ist ein wohlhabender Mann.«
    Der Bankier nickte anerkennend und warf diskret einen begehrlichen Blick auf das versiegelte Kuvert.
    Diese Wertpapiere würden bestimmt seiner Bank zugute kommen, doch als Mann von Welt hielt er sich zurück, eine Bemerkung darüber zu machen. Mit der »natürlichen« Tochter von Andrew Carnegie in Verbindung zu stehen, konnte für jede Bank nur von Nutzen sein.
    Am nächsten Tag war ganz Cleveland gerührt, als es vernahm, wie der Milliardär und seine Tochter sich wiedergefunden hatten. Die charmante Mrs Fenwick, eine vollendete Gastgeberin und Dame von Welt, gewann noch mehr an Ansehen. Diese fantastische Begebenheit setzte allerdings niemanden in Erstaunen. Seit langem kannte die ganze Stadt ihre Herkunft und ihre perfekte Erziehung untermauerte dies noch. Ein paar Tage später übergab Mrs Fenwick bei einem Treffen mit ihrem ausgewählten Bankier diesem das fortan berühmte Kuvert. Der Bankier legte den noch immer versiegelten Umschlag in seinen Tresor. Was für ein Glück, eine solche Kundin zu haben! Mrs Fenwick verließ die Bank mit einer ordnungsgemäßen Quittung, die bestätigte, dass sie soeben fünf Millionen Dollar in einem Tresor hinterlegt hatte.
    Mrs Fenwick, die offiziell anerkannte Tochter von Andrew Carnegie, nutzte von nun an ihr Ansehen, nicht nur bei dem Bankier, bei dem sie fünf Millionen Dollar hinterlegt hatte, sondern auch bei vielen anderen Banken. Ihre Unterschrift unter einer Quittung war Gold wert. Sie lieh sich nach Gutdünken Geld, da alle Welt bereit war, es ihr zu geben. In verschiedenen Städten der Ostküste lieh sie sich zwei Millionen Dollar, ohne dass Sicherheiten von ihr verlangt wurden. Sie lebte auf großem Fuß. In ihrem Haus fand man viele kostbare Kunstwerke und die gute Gesellschaft riss sich darum, zu ihren opulenten Dinners eingeladen zu werden. Doch nie sah man dort Andrew Carnegie. Und das aus gutem Grund...
    Mrs Fenwick, in Wahrheit Clarissa Wendell, war eine ehemalige Prostituierte aus Kanada, die bereits mit zweiundzwanzig Jahren wegen verschiedener Delikte die Bekanntschaft mit dem Gefängnis gemacht hatte. Sie war dank ihres schauspielerischen Talents, das ihr ermöglichte, eine »Geisteskranke« zu spielen, ihrem Schicksal entronnen. Doch zwanzig Jahre später, verheiratet mit dem arglosen Doktor Fenwick, erwies sich die unvergleichliche Lügnerin als begabter für das Ersinnen von Märchen als für die Verwaltung ihres

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