Die blutende Statue
Vergeblich wirst du danach streben, es zu verteidigen. Wie ich weiß, bist du tapfer, doch wenn es den Göttern gefällt, bin ich es auch. Darum strecke die Waffen oder mache dich bereit zum Kampf.«
Das war noch nicht alles, weil dem die Antwort beigefügt war oder zumindest der Passierschein, den der Abgesandte Cäsars, der die Botschaft überbracht hatte, von Vercingetorix erhielt.
»Den vorliegenden Brief hat Vercingetorix, der Anführer der Gallier, dem Trogus Pompeius überreicht, damit dieser frei zu seinem Herrn zurückkehren kann. [...] Ich bewillige die Rückkehr des jungen Trogus Pompeius zum Kaiser Julius Cäsar, seinem Herrn und befehle allen, die diese Briefe sehen, ihn frei passieren zu lassen und ihm bei Bedarf Hilfe zu gewähren.«
Der bebrillte Kahlkopf verneigte sich ehrerbietig.
»Der alte Monsieur verlangt auch dafür nur fünfhundert Franc. Dabei handelt es sich um zwei Dokumente statt einem, die noch dazu sehr viel seltener sind.« Eilends holte der Akademiker die verlangte Summe aus seinem Schreibtisch hervor.
»Richten Sie ihm meinen Dank aus, Monsieur Lucas. Und kommen Sie rasch wieder!«
So begann die zweifellos verblüffendste Fälschungsgeschichte, die uns bekannt ist. Michel Chasles, einer der größten Köpfe seines Jahrhunderts, führte die Naivität auf einen nie zuvor erreichten Gipfel. Der Brief Molières war zwar eine Fälschung, blieb jedoch noch im Rahmen des Möglichen. Aber dieser Austausch von Höflichkeiten auf Altfranzösisch zwischen dem Römer und dem Gallier ist völlig grotesk. Ganz zu schweigen davon, dass Vercingetorix seinen Korrespondenten als »Kaiser« bezeichnete. Dabei ist Julius Cäsar nie Kaiser gewesen. Gerade weil er es werden wollte, haben ihn Brutus und seine Genossen ermordet. Außerdem hätte man das Papier nur gegen das Licht halten müssen, um darin eine Lilie als Wasserzeichen zu entdecken. Überhaupt gab es damals noch gar kein Papier, man kannte höchstens Pergament. Zu dieser Geschichte fehlen einem einfach die Worte. Niemand würde sich trauen, so etwas zu erfinden. Und trotzdem ist alles wahr.
Sehr viel später, 1869 nämlich, trennte sich der »alte Monsieur« nun schon seit sieben Jahren blutenden Herzens von einzigartigen Dokumenten, die Vrain-Lucas nur aus Freundschaft an seinen Landsmann aus dem Beauce, Michel Chasles, verkaufte.
Dieser fabelhafte Schatz enthüllte das Privatleben großer Persönlichkeiten aus allen Epochen, ebenso wurden alle großen Rätsel der Geschichte, wie zum Beispiel das der Eisernen Maske, gelöst.
Hier nur ein paar Kostproben. Um in Cäsars Gesellschaft zu bleiben, zitieren wir aus einem Brief, den dieser von seiner ägyptischen Geliebten, der schönen Kleopatra, erhielt: »Mein Vielgeliebter, unserem Sohn Cäsarion geht es gut. Bald ist er kräftig genug, um die Reise nach Marseille anzutreten, wohin ich ihn schicken will sowohl der guten Luft wegen, die man dort atmet, als auch wegen der verständigen Dinge, die dort gelehrt werden.«
Michel Chasles war ein echter Patriot, sogar eine Spur chauvinistisch. Darum bestand seine ganze Reaktion auf dieses Schreiben aus einem stolzen Kommentar darüber, dass Kleopatra für die Erziehung ihres Sohnes seine französische Heimat ausgewählt hatte.
Mit ähnlichem Wohlgefallen erfüllte ihn folgender Brief von Alexander dem Großen an Aristoteles: »Was Eure Bitte betrifft, ins Land der Gallier zu reisen, um dort die Bruderschaft der Druiden kennen zu lernen, welche Pythagoras so hoch gerühmt hat, so gestatte ich es Euch, denn Ihr wisst, welche Wertschätzung ich für besagtes Volk hege, welches meiner Meinung nach das Licht in die Welt getragen hat.«
Und musste Michel Chasles, um in derselben Sparte zu bleiben, nicht vor Nationalstolz erbeben angesichts der Kampfansage Karl Martells an den Anführer der arabischen Armee, kurz bevor er ihn bei Poitiers schlug? »Maurenherzog, ich habe deine Drohbriefe gelesen, fürchte jedoch nicht ihre Wirkung. Versammle, wenn du kannst, die Streitkräfte ganz Afrikas und stürze dich mit ihnen, um sie zu erproben, auf mein Heimatland. Dann wirst du sehen, dass ich dir entgegeneile. Der Herr nehme sich deiner an. [...] Karl Martell.« Natürlich war auch Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orleans, dabei. Das Hirtenmädchen, das wundersamerweise das Schreiben erlernt hatte, berichtete ihren Eltern von ihrer ersten Begegnung mit König Karl VII.: »Lieber Vater, liebe Mutter, unser Gespräch kam auf die Maßnahmen, die zu
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