Die Bluterbin (German Edition)
zu lassen und Enguerrand eine Buße nach seinem Ermessen aufzuerlegen. Doch der König blieb hart. Er brannte darauf, Gerechtigkeit auszuüben.
„Wenn es Gott, unserem Herrn, gleichermaßen lieb wäre, ob ich den Beklagten nun hängen oder laufen lasse, würde ich ihn hängen, ohne mich um Euer selbstsüchtiges Gejammer zu scheren“, tat er öffentlich kund, und Enguerrand bekam es mit der Angst zu tun.
Erst nachdem sich König Ludwig nochmals lange beraten hatte, ließ er sich schließlich durch die demütigen Bitten der Fürsten umstimmen und zeigte sich großherzig. Er konnte es sich nicht leisten, die Mächtigsten des Reiches gegen sich aufzubringen.
„Enguerrand von Coucy wird sein Leben mit einem Bußgeld von zehntausend Pfund Silber einlösen und darüber hinaus zwei Kapellen errichten, in denen täglich Gebete für die Seelen der drei jungen Leute gesungen werden. Den Wald, in dem er seine schändliche Tat begangen hat, wird er an die Abtei Saint-Nicolas-au-Bois abtreten, und er wird geloben, drei Jahre im Heiligen Land zu verbringen.“
Das Urteil war gesprochen.
Enguerrand von Coucy verließ Paris, so schnell er konnte, und reiste wutschnaubend zurück nach Coucy. Noch nie in seinem Leben war er so gedemütigt worden, und alles in ihm schrie nach Rache.
Für seine Untergebenen brach eine schwere Zeit an.
43
Robert und Marie ritten auf dem schnellsten Wege nach Forez. Zum zweiten Mal war Marie abrupt aus einem Leben herausgerissen worden, an das sie sich gewöhnt hatte, doch dieses Mal war sie glücklich darüber.
Umschlungen von Roberts starken Armen, passte sie sich den wiegenden Bewegungen des kräftigen Hengstes an und ließ sich von ihm tragen. Roberts vertrauter Geruch, vermischt mit Leder und Schweiß, weckte dabei unbekannte Sehnsüchte in ihr.
Viele Fragen brannten ihr auf den Lippen, und sie wünschte sich den Augenblick herbei, in dem sie endlich mit Robert allein sein würde.
Sie wusste, dass er sie liebte, und doch war er nicht mehr der Mann, der er auf Coucy noch gewesen war. Er hatte seitdem Dinge erlebt, von denen er ihr nicht erzählt und die sie auch nicht mit ihm geteilt hatte. Sie spürte, dass die Zeit nicht spurlos an ihm vorübergegangen war, sondern ihm tiefe Wunden geschlagen hatte. Zurückgeblieben war eine Mischung aus Trauer und hilfloser Wut, die ein Teil von ihm geworden war.
Damals, als sie vor dem Bischof geflohen waren, war Robert noch voller Hoffnung und überschäumender Gefühle gewesen. Fast naiv war er durchs Leben gegangen, stets von dem wohltuenden Gefühl getragen, dass auf dieser Welt alles möglich war, solange man nur fest daran glaubte.
Jetzt hatte er sich verändert, genau wie auch sie sich verändert hatte.
Sein Gesicht war kantiger, männlicher geworden, und um seine Augen tauchten bereits die ersten Fältchen auf. Seine gesamte Haltung strahlte Willensstärke und grimmige Entschlossenheit aus, nur seine Stimme, die dunkel vor Zärtlichkeit wurde, sobald er zu ihr sprach, war noch die gleiche wie früher.
Doch Marie drang nicht in ihn, denn sie war davon überzeugt, dass er ihr von sich aus irgendwann von seinen Erlebnissen erzählen würde.
Robert drängte immer wieder zur Eile, er wollte kein Risiko mehr eingehen, jetzt, wo er Marie endlich aus den Fängen Enguerrands befreit hatte.
Die Nächte wurden mit jedem Tag kühler und die Pilgerwege einsamer.
Als Robert bemerkte, dass Marie am Ende ihrer Kräfte war, schlug er vor, in einer Herberge einzukehren. An einem der schmuddeligen Tische der Schänke hatten sie das erste Mal Gelegenheit, in Ruhe miteinander zu sprechen.
„Ich möchte Euer Glück nur ungern trüben“, begann Bernard, nachdem der Wirt das Essen gebracht hatte. Hungrig steckte er sich ein Stück von dem zähen Fleisch in den Mund und sprach kauend weiter: „Enguerrand haben wir ja nun erfolgreich geschlagen, aber glaubt Ihr wirklich, dass Radulfus Ruhe geben wird? Immerhin hat er Euch diesen Dominikaner auf den Hals gehetzt.“
Marie sah Bernard entsetzt an.
„Radulfus wird es nicht wagen, an dem Mord des armen Bruders Gregor zu rühren, es ist zu gefährlich für ihn“, gab Robert zu bedenken.
„Aber das hat er doch längst getan.“ Bernard schüttelte ungläubig den Kopf und vergaß dabei sogar, wie hungrig er war.
Sah Robert die Gefahr, die von dem teuflischen Bischof ausging, wirklich nicht oder wollte er sie nicht sehen? Er konnte es einfach nicht glauben.
„Habt Ihr vergessen, wie besessen er von Marie
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