Die Bluterbin (German Edition)
ein.
Nachdem sie Gesicht und Hände vom Reisestaub befreit hatten, zeigte Robert Marie die ganze Burg und führte sie schließlich auf einen der vorderen Wachtürme hinauf, von dem sie ihren Blick über die gesamte Grafschaft schweifen lassen konnte.
Wie Flickenteppiche lagen die einzelnen Felder unter ihnen, und die Katen der Leibeigenen wirkten von oben noch winziger, als sie es ohnehin schon waren. Ein frischer Wind blies ihnen ins Gesicht, und Robert blickte Marie nicht an, als er ihr die Frage stellte, die er ihr schon die ganzen letzten Tage über hatte stellen wollen:
„Erinnert Ihr Euch noch an das Versprechen, das Ihr mir damals zum Abschied gegeben habt?“
„Wie könnte ich es jemals vergessen?“, fragte sie lächelnd zurück, als sich Robert endlich zu ihr umwandte.
„Dann seid Ihr also bereit, mich zu heiraten?“ Eine leichte Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit.
Marie nickte glücklich.
„Dann werden wir gleich morgen nach Bourges reiten, damit ich Euren Vater um Eure Hand bitten kann“, sagte Robert entschlossen, zog ihre beiden Hände an seine Lippen und drückte jeweils einen Kuss darauf. Danach bat er sie, mit ihm zusammen zu seiner Mutter zu gehen.
„Ich habe ihr gesagt, dass wir kommen würden, und sie erwartet uns sicher schon ganz sehnsüchtig, ich habe ihr viel von Euch erzählt.“
Mathilda saß in ihrem Lehnstuhl, sie wirkte erschöpft und verhärmt, und ihr Gesicht war seit dem Tod ihres Mannes um Jahre gealtert.
Sofort nachdem sie die Nachricht von der Rückkehr ihres Sohnes erhalten hatte, hatte sie ihre Zofe zu sich gerufen und ihr befohlen, ihr die Haare zu kämmen und zu richten und ihr danach in den Lehnstuhl zu helfen.
Sie hatte alles herrichten lassen, und so war das Stroh auf dem Boden frisch und sauber und mit duftenden Kräutern durchsetzt. Kleine Binsenlichter brannten in den kupfernen Metallhaltern an den Wänden, und der Raum war warm und gemütlich, als Robert zusammen mit Marie eintrat.
„Das ist Marie“, stellte Robert sie stolz seiner Mutter vor. „Sie ist die Frau, der mein Herz gehört und die ich zu meinem Weib nehmen werde.“
Mathilda hörte die Freude in seiner Stimme.
„Kommt her, mein Kind, und lasst Euch ansehen.“
Sie reichte Marie beide Hände, zog sie etwas näher zu sich heran und betrachtete sie aufmerksam. In den schwarzen Augen der jungen Frau lag ein eigentümlicher Ausdruck. Dunkel hoben sie sich von der ungewöhnlich hellen, fast schon weißen Haut ab.
Es war ein seltsames Gefühl, dieses Mädchen anzusehen, es war, als ob sie in einen tiefen Brunnen hinabtauchen würde, an dessen Grund eine Überraschung auf sie wartete. Tatsächlich fühlte sie sich leicht und immer leichter werden, und gleichzeitig spürte sie, wie die Kraft in ihren Körper zurückkehrte. Guido, ihr treuer und gerechter Mann, hatte sie nicht verlassen, und auch Sophie, ihr kleines Mädchen, war bei ihr. Die ganze Zeit über waren sie bei ihr gewesen, sie hatte es nur nicht bemerkt. Wie war das nur möglich? Verwirrt strich sie sich über die Stirn, dann erhob sie sich und schloss Marie in ihre Arme. Diese begann nun zu wanken, und Robert hielt sie fest und drückte sie an seine Brust.
„Ich danke Gott, unserem Herrn, dafür, dass Er einen Engel wie Euch erschaffen und zu mir gesandt hat, um mich von meiner Trauer zu erlösen.“
Marie sank nun ganz in sich zusammen, und Robert hielt sie, bis die Krämpfe, die ihren zarten Körper schüttelten, wieder nachließen und sie – wie immer erschöpft – in einen tiefen Schlaf fiel. „Jetzt kann ich verstehen, warum es Philippa nicht gelungen ist, Euer Herz zu erobern“, meinte da Mathilda leise, die noch immer ganz von dem Unfassbaren gefangen war, das sie gerade erlebt hatte. „Sie hatte nie eine Chance. Begleitet mich in die Kapelle, mein Sohn, und lasst uns dort gemeinsam für ihre arme Seele beten. Meine Zofe wird so lange hierbleiben und über Marie wachen.“
Robert kam ihrem Wunsch nach und begleitete sie in die Kapelle. Anschließend begab er sich in seinen Schreibraum, wo er einen langen Brief schrieb, den er sorgfältig versiegelte und danach seinem zuverlässigsten Boten übergab.
44
Am nächsten Morgen ließ Robert die Pferde satteln und ihre Sachen packen. Bernard bestand darauf, sie zusammen mit Jack zu begleiten, und so machten sie sich kurze Zeit später zu viert auf den Weg nach Bourges.
Robert hatte Marie angeboten, die Reise noch um einen weiteren Tag zu verschieben, damit sie
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