Die Bluterbin (German Edition)
Lappalie verpasste. Einen Moment lang hatte er sogar überlegt, dem Befehl des Königs einfach nicht nachzukommen, doch dann waren ihm Zweifel gekommen. Denn selbst wenn der König durch den Kreuzzug und die Lösegeldzahlungen eine Menge Geld verloren hatte und geschwächt war, war er doch immer noch der König von Frankreich.
Und Enguerrand hatte sich schon zu viele Feinde unter den Mächtigen des Landes gemacht, die König Ludwig mit Freuden im Kampf gegen ihn unterstützen würden, um im Falle seiner Niederlage über seine Besitztümer herfallen zu können.
Er war deshalb zu dem Schluss gekommen, dass das Risiko, nicht zu erscheinen, zu hoch war, obwohl es ihn gereizt hatte, seine Kräfte mit denen des Königs zu messen.
„Jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind, egal ob arm oder reich, steht jedoch eine ordentliche Gerichtsverhandlung zu“, entgegnete ihm König Ludwig scharf. „Indem Ihr gegen dieses Gesetz verstoßen habt, habt Ihr Euch schuldig gemacht.“
Irgendjemand aus seiner Jagdgesellschaft musste ihn also verraten haben, wehe ihm, wenn er ihn zwischen seine Finger bekommen würde. Wütend ballte er die Hände zusammen, bis seine Knöchel weiß hervortraten. Seit dem Tode seines Vaters hatte es niemand mehr gewagt, ihm Vorhaltungen zu machen. Davon abgesehen, hätte eine Gerichtsverhandlung in seinen Augen nichts an dem Urteil, das vollstreckt worden war, geändert. Und darum hatte er sie auch für vollkommen überflüssig erachtet.
Ein Blick in König Ludwigs Gesicht genügte jedoch, um zu sehen, dass es diesem ernst war. Der König würde als Buße für seine Tat sicher eine Geldstrafe ansetzen, und Enguerrand war gespannt, auf welche Höhe sich die Summe belaufen würde. Es bliebe ihm sowieso nichts anderes übrig, als sie zähneknirschend zu bezahlen.
„Niemand kann mich zwingen, ohne meine Ratgeber auszusagen. Ich verlange, von den Adligen des Landes gerichtet zu werden, was mir nach dem Recht der Baronien zusteht“, stieß er trotzig hervor.
König Ludwigs Gesicht verfinsterte sich, doch einer seiner Ratgeber beugte sich auf Enguerrands Worte zu König Ludwig hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Es war ein dürrer alter Mann mit einer hässlichen Hakennase, die ihm etwas Verschlagenes verlieh.
König Ludwig hörte ihm aufmerksam zu und wandte sich dann wieder Enguerrand zu.
„Euer Grund und Boden zählt nicht länger zu den Baronien, seit dem Tag, an dem die Böden von Bove und Gournay, denen die Lehnbarkeit und Würde der Baronien anhingen, durch brüderliche Teilung bedingt, von der Grundherrschaft Coucy getrennt wurden.“ Leiser Triumph klang in seiner Stimme mit. Er legte eine kleine Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen.
„Damit seid Ihr bis zu Eurer Verhandlung, deren Tag ich festsetzen werde, festgenommen.“ Enguerrand war fassungslos, musste sich aber wütend eingestehen, dass er nichts anderes tun konnte, als sich zu fügen.
Doch der König schien noch nicht zufrieden und setzte ihn ungerührt einer weiteren Demütigung aus.
Anstatt ihn, wie es ihm gemäß seinem Rang zustand, durch seine Barone oder Ritter festnehmen zu lassen, ließ er nach den Waffenknechten rufen, die Enguerrand in den Turm des Louvre führten, wo man ihn wie einen gemeinen Dieb in den Kerker warf und er ohnmächtig vor Wut zu rasen begann.
Doch dann erhielt er ausgerechnet von seinen größten Widersachern Hilfe.
Als der Tag der Gerichtsverhandlung gekommen war, versammelten sich der König von Navarra, der Herzog von Burgund, die Grafen von Bar und Soissons und viele andere, die in der Vorgehensweise des Königs einen Angriff auf ihre verbürgten Vorrechte sahen, und zogen sich mit ihm zur Beratung hinter verschlossene Türen zurück.
König Ludwig blieb bis auf seine Sachverständigen und Berater allein. Er hatte die Absicht, einen gerechten Urteilsspruch zu fällen und den Sire von Coucy entsprechend dem Wiedervergeltungsrecht zu bestrafen. Was nichts anderes hieß, als dass er ihn zu der gleichen Strafe verurteilen wollte, zu der Enguerrand zuvor die Jungen verurteilt hatte. Justum judicium judicare.
Der Tag sollte zum schwärzesten in Enguerrands Leben werden, denn um sich die Unterstützung der Fürsten zu sichern, musste er jedem Einzelnen von ihnen solch große Zugeständnisse machen, dass er sich am Ende um ein Drittel seines Reiches gebracht hatte.
Nachdem die Zugeständnisse geschrieben und gesiegelt waren, ersuchten die Fürsten den König einstimmig darum, Milde walten
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