Die Bluterbin (German Edition)
nicht fassen konnte, dass Marie tatsächlich wieder da war. Ihre Augen folgten Marie voller Stolz. Sie hatte immer gewusst, dass ihr kleines Mädchen eines Tages eine Schönheit werden würde, und sie hatte recht behalten.
Eleonore sah erschrocken von ihrer Näharbeit auf. Sie hatte Elsa gerufen, weil sie mit ihr über das Abendessen hatte sprechen wollen. Mit einer solchen Nachricht hatte sie nicht gerechnet.
Ruhig trat Marie auf ihre Mutter zu. Auch Eleonore hatte sich verändert. Sie war dünn, fast schon hager geworden, und ihr Gesicht wirkte blass und eingefallen. Marie spürte sowohl die Einsamkeit wie auch die Kälte im Herzen ihrer Mutter, die sie als Kind so sehr verletzt hatte. Doch jetzt erkannte sie, dass ihre Mutter all die Jahre über ebenso gelitten hatte wie sie selbst, und war nur noch voller Mitgefühl für sie. Sie hielt Eleonores Blick fest, um sie zu trösten, und Eleonore ließ es geschehen. Die unbekannte Wärme, die von einem Moment auf den anderen jede Faser ihres Körpers ergriff, war unbeschreiblich. Der harte Ausdruck in ihren Augen verlor plötzlich alle Strenge. Zurück blieb eine verwirrte und etwas unsichere Frau.
Sie stand auf und reichte Marie beide Hände. Das war mehr, als Marie zu hoffen gewagt hatte, und vor lauter Rührung stiegen ihr die Tränen in die Augen.
„Wir hatten die Hoffnung längst aufgegeben, dich lebend wiederzusehen. Wo bist du nur die ganze Zeit gewesen?“, fragte Eleonore leise.
In diesem Moment betrat Martha das Zimmer. Erstaunt hatte sie ihre Mutter reden hören, deren Stimme noch nie zuvor so weich geklungen hatte. Und als sie sie jetzt zusammen mit Marie sah, stellte sie fest, dass auch der Ausdruck in Eleonores Gesicht ein vollkommen anderer war als der, den sie sonst zu sehen gewohnt war.
Man konnte Martha deutlich anmerken, dass sie wenig begeistert über das Wiedersehen mit ihrer Schwester war, die sie kühl von oben bis unten musterte.
„Du hättest uns wenigstens eine Nachricht schicken können, unsere Eltern haben sich um dich gesorgt.“ Der Vorwurf in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Doch schon war Robert zur Stelle und legte schützend seinen Arm um ihre Schulter.
„Mein Name ist Robert de Forez, Graf von Forez, und ich bin gekommen, um Euch um die Hand Eurer Tochter zu bitten“, sagte er an Eleonore gewandt.
Martha schien erleichtert, hatte sie doch insgeheim befürchtet, dass Marie wieder in ihr Elternhaus einziehen wollte.
Endlich besann sich Eleonore auf ihre Pflichten als Gastgeberin.
„Elsa, bring unseren Gästen Wein und etwas zu essen in die Stube, und richte deinem Herrn aus, dass Marie wieder da ist!“
Wenig später saßen alle Familienmitglieder rund um den großen Tisch in der warmen und gemütlichen Stube. Henry schien ebenso wie Martha nicht sehr erfreut über Maries unerwartetes Auftauchen zu sein. Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen, und musterte sie nur hin und wieder voller Misstrauen, sobald er sich unbeobachtet fühlte. Maries Vater war noch schlanker, aber auch grauer geworden. Die letzte Zeit hatte er Tag für Tag wie ein Besessener vom Morgengrauen bis in die Nacht gearbeitet, und so lagen unter seinen Augen tiefe Ringe und er wirkte gereizt und erschöpft. Er hatte keinen Blick für seine Tochter und wandte sich sofort, nachdem Marie ihm Robert und Bernard vorgestellt hatte, an Robert, ohne seine Tochter noch eines weiteren Wortes zu würdigen.
Das Feuer im großen Kamin flackerte warm, und ein köstlicher Duft nach gebratenem Fleisch entströmte dem großen Topf über dem Herd.
Marie wurde von Erinnerungen überflutet. Es war so unwirklich, neben Robert am Tisch ihrer Eltern zu sitzen. Und wie gern hätte sie erfahren, wie es Katharina und Agnes ergangen war, doch dafür würde später noch Zeit sein. Nachdenklich musterte sie ihre Mutter, die während des gesamten Essens völlig geistesabwesend wirkte.
Nach dem Essen berichtete Robert dann so knapp wie möglich, was alles geschehen war, wobei er einige Dinge wegließ, um Maries Familie nicht mehr als nötig zu beunruhigen.
„Ich bin gekommen, um Euch um die Hand Eurer Tochter Marie zu bitten“, schloss er und sah Jean Machaut dabei fest in die Augen. Jean, dem die Blicke, die der Graf seiner Tochter zuwarf, nicht entgangen waren, hatte längst geahnt, dass so etwas kommen würde.
„Ich habe dem Vater von Maries Verlobten Renaud Chandos dreißig Pfund Silber bezahlt, damit er Marie heiratet“, antwortete er kühl und betrachtete
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