Die Bluterbin (German Edition)
die sich vorsichtig an die Schale heranschlich, sich aber quiekend wieder verzog, als Robert ihr einen heftigen Tritt verpasste.
Erneut begann er eine Zeit lang zu zählen, dann schloss er die Augen und dachte an Marie, bis er endlich in einen tiefen Schlaf fiel, der ihn die Schrecken des Tages vergessen ließ.
Marie hatte ihren Umhang fest um sich gehüllt und hockte bewegungslos auf dem Boden der winzigen Zelle. Die Schritte des Wächters rissen sie aus ihrer Erstarrung.
Im Schein der Fackeln, der durch die geöffnete Tür in die dunkle Zelle fiel, sah sie in das Gesicht eines Mannes, der ihr mit einem anzüglichen Grinsen eine Schale Suppe reichte und sie dabei mit unverhohlener Gier in den Augen von oben bis unten begutachtete.
„Ich möchte nichts essen“, sagte sie abweisend und hüllte sich noch fester in ihren Umhang ein.
„Dann überlass es den Ratten“, antwortete der Mann gleichgültig. „Ich habe meine Vorschriften.“ Wieder wanderte sein Blick anzüglich über ihren Körper.
„Wenn du mir allerdings ein wenig entgegenkommst, könnte ich dir auch noch etwas anderes bringen, ein Stück Käse und frisches Brot“, schlug er vor und leckte sich dabei voller Vorfreude genießerisch über die Lippen.
„Ich will nichts, nur meine Ruhe“, erwiderte Marie abweisend.
„Jetzt stell dich doch nicht so an“, meinte der Mann. „Zumal meine Kameraden weit weniger zimperlich mit dir umgehen werden als ich.“ Er trat einen Schritt näher.
Marie sprang auf und sah ihm fest in die Augen. Der Mann wurde sichtbar unsicher unter ihrem Blick und wandte sich fluchend ab.
„Ich komme wieder, und dann wird dir auch dein komischer Blick nichts mehr nützen“, sagte er drohend.
Krachend fiel die Türe hinter ihm ins Schloss, und es war wieder dunkel um Marie.
Der Wächter war ihr zuwider, aber seine Dreistigkeit hatte immerhin bewirkt, dass ihre Widerstandsgeister zu neuem Leben erwacht waren. Er unterschied sich nicht besonders von all den wüsten Rittern in Coucy, gegen die sie sich mit der Zeit zu wehren gelernt hatte und von denen sie sich nicht mehr einschüchtern ließ, auch wenn sie nicht verstand, warum diese Männer sie nicht in Ruhe lassen konnten.
Draußen erklangen Schritte, die sie rasch näher kommen hörte. Sie schlug ein Kreuzzeichen und sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Was auch immer käme, sie würde sich ihren Feinden nicht kampflos ergeben.
Nachdem Albertus den Bischofspalast verlassen hatte, eilte Radulfus zum Nordturm und stieß dort auf zwei vor sich hin dösende Wachen, die erschrocken aufsprangen, sobald sie erkannten, dass der unerwartete Besucher, der auf sie zukam, niemand anders war als der Bischof selbst.
„Bringt mich zu dem Mädchen“, befahl Radulfus barsch. Sofort führte ihn einer der Wachen den schmalen Gang an den Zellen entlang und blieb schließlich vor der letzten Zelle stehen.
„Ihr könnt gehen“, befahl Radulfus. „Ich möchte allein mit ihr reden.“
Der Wächter gehorchte und ging zurück zu seinem Kollegen.
Radulfus’ Hände waren feucht vor Aufregung, als er den schweren Eisenriegel zurückschob.
Wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet. Er öffnete die Türe und glitt lautlos wie ein Schatten in die Zelle.
Marie brauchte nicht erst aufzusehen, um zu wissen, wer zu ihr gekommen war, dazu erinnerte sie sich ihrer ersten Gefangennahme und Radulfus’ damaligem Besuch in ihrer Zelle noch viel zu gut. Sie hatte gewusst, dass er auch dieses Mal zu ihr kommen würde.
Stolz richtete sie sich auf und blickte ihm furchtlos mit offenem Blick entgegen.
In seinen schmalen Augen blitzte Unsicherheit auf. Das war nicht mehr das schüchterne Mädchen von einst. Vor ihm stand eine selbstbewusste junge Frau. Ob sie überhaupt noch Jungfrau war? Der Gedanke versetzte ihm einen Schock, denn er war sich sicher, dass ihn allein ihre Unschuld vor der ewigen Verdammnis bewahren konnte, auch wenn er keine Ahnung hatte, was für ein Rätsel sich hinter ihren geheimnisvollen Kräften verbarg. Wenn Marie keine Jungfrau mehr war, wäre er endgültig verloren. Er musste es einfach herausfinden.
„Was wollt Ihr von mir?“, fragte Marie ruhig und unterbrach damit seine Gedanken.
„Ich möchte Euch helfen, hier herauszukommen“, erwiderte Radulfus glatt.
„Doch dafür muss ich wissen, ob Ihr noch unberührt seid oder Euch der Sünde hingegeben habt.“
„Das geht Euch nichts an, und ich möchte Euch bitten, jetzt zu gehen, zumal ich Euch nichts zu sagen
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