Die Bluterbin (German Edition)
erfahren, woher er kam? Doch dann kam er zu dem Schluss, dass nun auch das keine Rolle mehr spielte.
„Aus Aurey“, erwiderte er daher gleichgültig.
„Dann habt Ihr einen weiten Weg auf Euch genommen, um an der Messe teilzunehmen“, stellte Jean fest.
Raymond sah ihn gequält an.
„Die Messe war meine letzte Hoffnung“, erwiderte er leise. „Aber ich habe gerade einmal so viel verkauft, dass ich dem verfluchten Juden seine Zinsen bezahlen kann.“
Jean richtete sich entschlossen auf.
„Ihr habt mir von Euren Sorgen erzählt, doch Ihr seid nicht der Einzige, der vor Kummer nicht in den Schlaf findet. Gott hat mich mit einer Tochter namens Marie gestraft, die unter einer merkwürdigen Krankheit leidet. Sie tritt nur hin und wieder auf und ist schnell wieder vorüber.
Auch ist sie ansonsten hübsch anzusehen, außerdem fleißig und bescheiden, doch die Leute in der Stadt zerreißen sich ihre Schandmäuler über uns, und meine Frau befürchtet, dass wir für die anderen beiden Töchter keinen Ehemann mehr finden werden, sollte sich Maries Krankheit noch weiter herumsprechen. Dabei sind wir alle gesund und ich glaube nicht, dass es an unserem Blut liegt. Es muss etwas anderes sein.“
Raymond hörte ihm gleichgültig zu. Er hatte noch nicht begriffen, worauf der Großhändler hinauswollte.
„Ich würde Marie gerne außerhalb von Bourges verheiraten. Sie wird im nächsten Jahr fünfzehn und ist damit heiratsfähig. Der Mann, der sie heiratet, wird eine großzügige Morgengabe von mir erhalten, sagen wir einmal so an die dreißig Pfund Silber?“
Erwartungsvoll blickte er Raymond an, hinter dessen Stirn es fieberhaft zu arbeiten begann. Aber es dauerte noch eine ganze Weile, bevor dieser begriff, dass ihm gerade die Lösung für all seine Probleme angeboten worden war.
Ungeduldig wartete Jean auf seine Antwort. Waren dreißig Pfund Silber etwa zu wenig? Raymond hatte nicht über die Höhe seiner Schulden gesprochen. Er gab sich einen Ruck.
„Darüber hinaus würde ich Euch, als Schwiegervater meiner Tochter, so viel von meiner Ware auf Kommission zur Verfügung stellen, wie Ihr für einen Neuanfang benötigt“, setzte er hinzu.
Ein Leuchten lief über Raymonds Gesicht.
„Das würdet Ihr wirklich tun?“, fragte er ungläubig.
„Ihr habt mein Wort darauf.“ Jean hielt ihm seine Hand hin.
Raymond zögerte nicht lange und schlug ein, worauf Jean noch zwei weitere Krüge Wein bestellte.
„Was haltet Ihr davon, wenn Ihr nach der Messe mit Eurem Sohn nach Bourges kommt und wir das Geschäft perfekt machen?“, schlug er vor. Raymond war mit allem einverstanden. Sein Gesicht strahlte, als würde er das himmlische Jerusalem selbst erblicken.
Sie redeten noch eine Weile über allgemein geschäftliche Belange, bevor sie sich schließlich zum Schlafen in ihre Kammer begaben, wo Raymond das erste Mal seit Langem wieder Pläne für die Zukunft zu schmieden begann. Er konnte es kaum erwarten, seiner Familie die gute Nachricht zu überbringen.
Auch Jean Machaut war zufrieden. Nicht nur, dass er schneller als erwartet einen Mann für Marie gefunden hatte, er war darüber hinaus auch davon überzeugt, in Raymond Chandos einen zuverlässigen Geschäftspartner gefunden zu haben, mit dessen Hilfe es ihm gelingen würde, seine Beziehungen weiter auszubauen.
Katharina fieberte währenddessen dem Tag ihrer Hochzeit entgegen. Sie konnte nicht mehr schlafen und steckte die restlichen Familienmitglieder mit ihrer Aufregung an. Von morgens bis abends schallte ihre schrille Stimme durchs Haus, und alle waren froh, als endlich der Tag ihrer Abreise bevorstand.
Die Truhen waren gepackt, und schon am nächsten Morgen würde sich die Familie Machaut auf die Reise nach Poitiers begeben.
Jean, der kein Risiko eingehen wollte, hatte deshalb beschlossen, dass Marie bei Elsa und dem Knecht zu Hause bleiben sollte, und Eleonore hatte ihm, erleichtert über seine Entscheidung, sofort zugestimmt.
Marie verbarg ihre Enttäuschung, so gut sie konnte. Dabei hatte sie sich schon so sehr auf die Reise gefreut und ganz besonders darauf, Katharina in ihrem wunderschönen Hochzeitskleid zu sehen, an dem sie unzählige Stunden lang gestickt hatte. Es tat ihr weh, immer ausgeschlossen zu werden. Denn obwohl ihre Schwestern alles andere als freundlich zu ihr waren, liebte Marie sie dennoch.
Katharina war so glücklich, dass sie an ihrem letzten Abend in der Kammer sogar ein wenig zur Seite rutschte, um Marie in dem großen Bett Platz
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