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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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nüchtern und würde erst essen und trinken wollen, bevor sie andere Bedürfnisse in ihm wecken konnte.
    Jean hörte, wie der Wirt sie kräftig ohrfeigte und als faule Schlampe beschimpfte, bevor er sich endlich dazu bequemte, Jean seine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
    Fettige schwarze Haare hingen ihm in sein aufgedunsenes Gesicht, und sein halb geöffneter Mund zeigte eine Reihe teils verfaulter, teils gelber Zähne.
    Mit energischen Schritten stapfte er auf Jean zu und musterte ihn ungeniert von oben bis unten.
    „Bring uns noch einen Krug von deinem gepantschten Wein, oder willst du uns verdursten lassen?“, schrie ihm einer der Händler vom Nebentisch zu.
    Der Wirt schien nicht im Geringsten beleidigt zu sein. Aus geröteten Augen stierte er auf seinen neuen Gast hinunter. Sein Atem roch nach billigem Wein.
    „Bringt mir Essen und einen Krug von Eurem besten Wein“, verlangte Jean.
    Der Wirt brüllte etwas in die Küche und kam bereits nach kurzer Zeit wieder mit dem bestellten Wein zurück.
    Jean hatte den Krug jedoch schon längst geleert, als der Wirt endlich mit dem Essen kam und ihm auf einem speckigen Holzteller Selchfleisch, Kraut und dunkles Brot servierte. Dennoch bedankte er sich höflich und machte sich hungrig über sein Essen her. Er war fast fertig, als ein weiterer Gast den Schankraum betrat. Nach einem kurzen Blick auf die spielenden Kaufleute setzte er sich höflich grüßend zu Jean an den Tisch.
    Der Mann war leicht untersetzt und mochte um die vierzig Jahre alt sein. Sein dunkles halblanges Haar war an den Schläfen bereits ergraut, und über seiner Nasenwurzel hatten sich tiefe Kummerfalten eingegraben.
    Er trug einen leicht verschlissenen rot-blau gestreiften Mantel aus feinstem flandrischen Tuch und darunter eine blaue Hose aus dem gleichen Stoff. Schweigend beobachtete er Jean beim Essen.
    Als der Wirt ihm seinen Wein brachte, stürzte er den Krug in einem Zug hinunter und bestellte sofort einen neuen, den er ebenfalls, ohne auch nur einmal abzusetzen, leerte. Aus trüben Augen starrte er auf den fleckigen Holztisch, dessen Oberfläche mit eingeritzten Sprüchen und Namen übersät war.
    „Diese Juden sind gottlose Halsabschneider und Betrüger, man sollte sie allesamt aus der Stadt werfen“, sagte er nach einer Weile wie zu sich selbst.
    Jean spuckte einen Knorpel aus, der sich beim besten Willen nicht klein kauen ließ, und sah von seinem leeren Holzteller auf.
    Er entnahm den Worten seines Gegenübers, dass dieser Geldsorgen hatte.
    „Wenn man sich einmal in den Klauen dieses raffgierigen Packs befindet, lassen sie einen nie wieder los“, fügte der Mann grimmig hinzu.
    Der Wein machte ihn gesprächig, und Jean erfuhr, dass er Raymond Chandos hieß und wie er selbst Tuchhändler war. Auf dem Seeweg von Venedig nach Frankreich hatte er in einem Sturm seine gesamte Ware ans Meer verloren. Und so war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich bei einem der jüdischen Geldverleiher Geld zu borgen, um damit neue Handelsgüter kaufen zu können. Doch der Zins, den der Jude verlangte, war hoch und die unzähligen Zollstationen so teuer, dass er von seinem aufgenommenen Kredit nicht mehr herunterkam und ihm kaum mehr etwas zum Leben übrig blieb.
    „Ich habe drei Söhne, doch ich kann sie kaum ernähren und finde keine Frau für sie. Wer gibt schon seine Tochter einem Mann zur Frau, dessen Vater hoch verschuldet ist? Jetzt haben sie alle drei beschlossen, sich dem von König Ludwig geplanten Kreuzzug anzuschließen. Sie werden in den Tod reiten, weil ich ihnen nicht einmal Schwerter und Rüstungen kaufen kann.“ Seine Stimme troff vor Selbstmitleid.
    Jean bestellte noch zwei Krüge Wein. Raymond Chandos schien ein aufrichtiger Mann zu sein, der schuldlos ins Unglück gestürzt war.
    Er selbst würde sein gesamtes Handelsgut nicht einem einzigen Schiff anvertrauen. Schon seit Jahren verringerte er das Transportrisiko, indem er einen Teil seiner Stoffe auf dem Wasserweg und den anderen zu Land transportieren ließ.
    Plötzlich begann eine Idee in Jeans Kopf Gestalt anzunehmen, die ihn nicht mehr losließ. Er beugte sich etwas vor, um sein Gegenüber noch etwas genauer mustern zu können. Raymonds leidenschaftsloses, klares Gesicht wirkte ehrlich und bestärkte ihn in seinem Vorhaben.
    „Woher stammt Ihr, wenn ich fragen darf?“
    Raymond hob erstaunt die Brauen. Er schien unschlüssig. Was konnte dieser zweifelsfrei erfolgreiche Kaufmann wohl für ein Interesse daran haben zu

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